Er ermordete zahlreiche Patienten, indem er ihnen tödliche Medikamente spritzte: Niels Högel, der 2019 wie berichtet zu lebenslanger Haft verurteilte Krankenpfleger, der als schlimmster Serienmörder der deutschen Kriminalgeschichte gilt. Das Fernseh-Drama „Das weiße Schweigen“, das heute um 20.15 Uhr bei Vox zu sehen ist, lehnt sich an den spektakulären Fall an. Es konzentriert sich dabei aber nicht auf den mörderischen Pfleger Rico Weber (Kostja Ullmann), der in einem Krankenhaus ihm anvertraute Patienten ermordet. Es geht vielmehr darum, wie sich seine Kollegen und Vorgesetzten konsequent wegducken und großzügig wegschauen, um den von Arbeitsüberlastung geprägten Klinik-Alltag nicht zu gefährden.
Bis auf eine: Die Krankenschwester Clara Horn (Julia Jentsch) durchschaut das mörderische Treiben ihres Kollegen Weber schon früh, prallt mit ihren Bedenken, aus denen ein immer konkreter werdender Verdacht wird, aber auf eine Mauer aus Ablehnung und Schweigen.
Im sehenswerten Spielfilm von Regisseurin Esther Gronenborn, die auch das Drehbuch geschrieben hat, geht es um die Mechanismen einer verhängnisvollen Gruppendynamik, die einige wehrlose Menschen das Leben kostet. Seine Spannung bezieht das Drama dabei nicht aus der Frage, ob der skrupellose Krankenpfleger geschnappt wird – das ist von vornherein klar, denn Rico Weber sitzt auf der Anklagebank in dem Gerichtsprozess, der das unfassbare Verbrechen aufarbeitet und die Rahmenhandlung bildet. Packend ist der Film vielmehr, weil der Zuschauer automatisch mitgeht bei Clara Horns anstrengendem Kampf für die Wahrheit und gegen praktisch alle anderen Kollegen. Ihre Vorgesetzte und Freundin Barbara Heckel (Elena Uhlig) will nicht wahrhaben, dass auf ihrer Intensivstation etwas ganz gewaltig schiefläuft, denn sie hat jeden Tag mit Personalknappheit zu kämpfen. Die anderen Pflegerinnen und Pfleger schauen aus falsch verstandener Kollegialität ebenfalls weg, ja, für sie ist Rico Weber sogar ein Held, weil er mit beherzten Reanimationsmaßnahmen auch scheinbar hoffnungslose Patienten wieder ins Leben zurückholt. Was sie nicht wissen: Der Pfleger hat eben diesen Menschen zuvor Medikamente gespritzt, die für Herzstillstand sorgen, um sie anschließend tatkräftig zu reanimieren und sich als Lebensretter zu inszenieren. Dass dabei auch einmal Patienten auf der Strecke bleiben, nimmt er skrupellos in Kauf.
Eine Rechnung, die lange aufgeht, denn auch die Ärzte sind angetan von dem gut aussehenden und fleißigen Pfleger, und die Krankenhauschefin hat sowieso ganz andere Sorgen – ihr geht es vor allem darum, wie sich aus dem Klinikbetrieb möglichst viel Gewinn herausquetschen lässt, da stören kritische Krankenschwestern wie Clara Horn nur. Als in einer Nacht gleich fünf Patienten sterben, mit denen Rico Weber zu tun hatte, wird der Krankenpfleger still und heimlich entlassen, findet aber sofort einen neuen Job in einer anderen Klinik. Es ist ausgerechnet jenes Krankenhaus, in das der Vater von Clara Horn nach einem Schlaganfall eingeliefert wird. Voller Angst, dass ihr Intimfeind ihrem hilflosen Vater etwas antun könnte, will Clara ihn in eine andere Klinik verlegen lassen – Szenen, in denen das TV-Drama zum regelrechten Thriller wird.