Der Meister des Weglassens

von Redaktion

NACHRUF Trauer um den Autor und Regisseur Wolfgang Kohlhaase, der mit 91 Jahren starb

VON ULRIKE FRICK

Wenn die Dialoge, die man als Drehbuchautor verfasst hat, zu geflügelten Worten werden, dann hat man schon sehr viel erreicht. Wenn diese Dialoge dann aber auch noch einen ganz speziellen, immer wieder neuen und doch absolut unverwechselbaren Klang und Witz transportieren, dann dürfte das wirklich der Olymp des Drehbuchschreibens sein. Wolfgang Kohlhaase hatte diesen Ort zweifellos längst erreicht. Jetzt ist der 91-Jährige in seiner Heimatstadt Berlin gestorben.

Im Stadtteil Adlershof wuchs er auf, nahe der bald entstehenden Rundfunk- und Fernsehstudios. Der Frühling 1945, da war Kohlhaase gerade mal 14 Jahre alt, wird eine Lebensphase, an die er sich später immer wieder gerne erinnern sollte. Nicht nur, weil er damals mit dem Schreiben eigener Geschichten anfing. Alles war von einem Aufbruch geprägt, das Neue, das Positive dominierte trotz aller Alltagswidrigkeiten. Dieses Gefühl hatte Kohlhaase zeitlebens verinnerlicht. Diese letztlich immer optimistische, stets das Licht am Ende des Tunnels erkennende Grundeinstellung hat er nie verloren. Und das merkte man seinen Drehbüchern bis zuletzt an.

Seine Themen waren ganz früh schon da – immer ging es ihm um die Menschen selbst, um den Einzelnen, der etwas entscheiden kann und sich auch in einem repressiven System nie den Mut nehmen lässt. Nach einem Volontariat schrieb er schon 1953 sein erstes Drehbuch für den Jugendfilm „Die Störenfriede“ von Wolfgang Schleif. Der von Gerhard Klein inszenierte Spielfilm „Berlin, Ecke Schönhauser“ wurde 1957 Kohlhaases erster großer Erfolg. Und das, obwohl die DDR-Zensurbehörden die Produktion für viel zu „negativ“ hielten. Kein Wunder, ließ sich Kohlhaase doch lieber vom ungeschönten Kino des italienischen Neorealismus inspirieren und von amerikanischen Schriftstellern wie Mark Twain, Jack London oder James Thurber als von der sozialistischen Arbeiter- und Bauernliteratur.

Dabei besaß Kohlhaase neben einem sehr feinen Humor auch eine scharfe Beobachtungsgabe und ein gutes Gespür für Ungerechtigkeit, selbst in feinster Nuance. Das lässt sich an jedem seiner Drehbücher erneut ablesen, an „Solo Sunny“ (1980), an „Der Aufenthalt“ (1983), an „Die Grünstein-Variante“ (1984), aber auch an späteren Arbeiten wie dem von Volker Schlöndorff umgesetzten „Die Stille nach dem Schuss“ (2000) oder „Sommer vorm Balkon“ (2005) und „Whisky mit Wodka“ (2009), beide von Andreas Dresen in Szene gesetzt. „Das Komische braucht ernste Arbeit“, fasste er seine Herangehensweise einmal zusammen. Die Ergebnisse waren nie ernst, sondern beeindruckten immer durch eine maximale Verdichtung von Inhalt, Witz und Haltung.

Das Großartigste, was Wolfgang Kohlhaase in seinen Drehbüchern kultivierte, ist aber diese Kunst des Weglassens, des Nicht-alles-Ausbuchstabierens. Des tänzelnden Andeutens, des nicht beendeten Halbsatzes. Den trotzdem natürlich jeder versteht. Besonders im deutschen Fernsehfilm bleibt heute oft nichts mehr der Fantasie überlassen. In einem permanenten Erklärmodus wird alles breitgetreten, in Bild und Dialog wiederholen sich die Inhalte. Solche Doppelungen sind praktisch, wenn man nur noch mit einem Auge zum Bildschirm sieht. Spannend oder gar herausfordernd ist diese Art des Fernsehens nicht mehr. Kohlhaases Figuren waren dagegen gerade deshalb so lebendig, weil er ihnen immer ein letztes Geheimnis ließ.

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