Vor 20 Jahren rutschte ihr das „Servus“ leicht über die Lippen. „Die Kollegen haben schnell gemerkt, dass ich noch nicht so ganz im hohen Norden angekommen bin“, lacht Maria Furtwängler. Dabei war die Münchner Schauspielerin zumindest optisch die perfekte Besetzung für die eher kühle, durchsetzungsstarke Kommissarin Charlotte Lindholm. An diesem Sonntag löst sie mit dem 30. „Tatort“ ihren Jubiläumsfall. „Die Rache an der Welt“ ist eine düstere Episode mit einem Thema, das für Gesprächsstoff sorgen dürfte. „Und das ist genau das, was ich am ,Tatort‘ liebe“, sagt die 56-Jährige.
Wie war das, als Sie vor 20 Jahren den Job als „Tatort“-Kommissarin angeboten bekommen haben?
Das weiß ich noch sehr genau! Ich saß zu Hause an meinem Schreibtisch, als die damalige NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze anrief und mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, „Tatort“-Kommissarin zu werden. Ich wäre fast vom Stuhl gefallen… (Lacht.)
Warum?
Mein Traum war immer gewesen, überhaupt mal im „Tatort“ dabei zu sein. Ich war damals fast ein bisschen neidisch auf meine Freundin Ursula Karven, die da schon Gastrollen hatte. Nur einmal wurde mir angeboten, die Ex-Frau von Robert Atzorn, dem Kommissar in Hamburg, zu spielen. Aber die Rolle fand ich tatsächlich so wenig attraktiv, dass ich trotz meiner „Tatort“-Sehnsucht abgesagt habe.
Und dann kam der ersehnte Anruf…
Das war der Hammer. Kaum hatte ich wieder Luft, hab ich laut „Ja“ gerufen!
Dennoch gab es Zeiten, wie Sie jüngst in einem Interview sagten, in denen Sie mit der Figur, ja der ganzen Krimireihe gehadert haben. Warum?
Da gab es einen Moment, in dem ich während der Dreharbeiten in der Küche stand und wirklich dieses klassische „Wo waren Sie gestern?“ sagen sollte. Und ich dachte, nö bitte, nicht schon wieder! Ich hatte einfach das Gefühl, mich zu wiederholen. Die Frische war mir abhanden gekommen.
Was haben Sie dagegen unternommen?
Interessanterweise entstand kurz darauf die Idee, eine Doppelfolge zu drehen. „Wegwerfmädchen“ und „Das goldene Band“ über Prostitution in Deutschland. Als wir anfingen, dachte ich mir noch: So eine Doppelfolge ist eigentlich ein prima Anlass, um auszusteigen. Aber dann war die Entwicklung des Themas und die ganze Arbeit so reizvoll, dass ich meinen Spaß wiedergefunden hatte.
So wie in „Die Rache an der Welt“, Ihrem Jubiläumsfall. Eine Episode, die mit den Themen Migration, Rassismus und Vorurteilen spielt.
Ja, ich finde es spannend, dass einer Figur wie Charlotte Lindholm, die man für aufgeklärt hält und schätzt, auch mal ein rassistischer Reflex unterläuft. Ein Reflex, den, wenn wir ehrlich sind, alle kennen. Das hat mir an anderer Stelle meine Arbeit mit der Stiftung zum Thema Gendergerechtigkeit gezeigt. Da habe ich erst bemerkt, wie viele frauenfeindliche Impulse ich auch in mir trage. Allein deshalb, weil ich in einer Gesellschaft groß geworden bin, in der einem etwa in der Sendung „Der 7. Sinn“ gesagt wurde, dass wir Frauen nicht Autofahren können. In ähnlicher Weise sind wir auch unterschwellig mit fremdenfeindlichen Reflexen konditioniert worden. Ich würde mir wünschen, dass wir bewusster damit umgehen und nicht immer so tun, als beträfe das nur die anderen.
Als Kommissarin Lindholm fordern Sie gegen die gängigen Regeln eine erweiterte Herkunftsanalyse der DNA vom Tatort an. Die richtige Entscheidung?
Der „Tatort“ ist ja kein Debattenbeitrag. Für mich ist immer entscheidend, ob es von der Figur her nachvollziehbar ist. Charlotte ist eine Frau, die auch rechts und links vom legalen Ermittlungsweg ihrem Gerechtigkeitsempfinden folgt. Aus dieser Perspektive finde ich ihre Entscheidung absolut stimmig.
Gibt es eine Eigenschaft, um die Sie Charlotte Lindholm beneiden?
Mmmmh, schwierig. Für meinen Geschmack schläft sie zu wenig. (Lacht.) Aber ich glaube, sie ist weniger hektisch als ich und kann sich besser fokussieren. Das würde mir, die manchmal zu viel auf einmal will, auch guttun.
Träumen Sie manchmal davon, das „Tatort“-Revier der Kollegen zu übernehmen, wenn die in Rente gehen?
Das klingt erst einmal toll! Aber ich muss gestehen, dass ich durch meine Dreharbeiten Gegenden Deutschlands gesehen habe, die ich sonst nie kennen- und mögen gelernt hätte. Und dafür bin ich wirklich dankbar.
Das Gespräch führte
Astrid Kistner.
„Tatort: Die Rache an der Welt“
läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.