Der Film wurde vor zwei Jahren ein Opfer des Lockdowns wegen Corona. Nach seinem Start am 1. Oktober 2020 kam er auf nur knapp 13 000 Kinobesucher. Was die Jury nicht davon abhielt, Oliver Masucci genau ein Jahr später den Deutschen Filmpreis als bestem Schauspieler in einer Hauptrolle zuzuerkennen. Nun können sich – ein weiteres Jahr später – Zuschauer bei der Premiere im frei empfangbaren Fernsehen ein Bild von „Enfant Terrible“ machen. Arte zeigt das filmische Porträt des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder heute um 22.35 Uhr.
In diesen Tagen hätte ein Typ wie Fassbinder keine Chance, Karriere zu machen. Einer, der am Set herumschreit, handgreiflich wird, der exzessiv säuft und Drogen nimmt – und der seine Schauspieler fertigmacht. Damals jedoch wurde er zu einer Ikone des deutschen Films, mit starbesetzten Werken wie „Angst essen Seele auf“, „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, „Die Ehe der Maria Braun“, „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ oder der ARD-Serie „Berlin Alexanderplatz“.
Filmemacher Oskar Roehler inszeniert „Enfant Terrible“ wie ein Theaterstück – Fassbinders Leben wie auf einer Bühne, vor dunklen, angemalten Pappkulissen. Es gibt viel Theatralik in diesen gut zwei Stunden, dazu ein faszinierendes Spiel von Licht und Schatten. Ein wuchtiges Werk mit Momenten, von denen einige etwas anstrengend sind, die sich aber trotzdem zu einer spannenden Interpretation von Fassbinders bewegtem Leben fügen – das Unstete, das ständige Gefühl des Gejagtseins. Masucci ist großartig in der Rolle dieses Mannes, der zu Hause am liebsten mit offenem Bademantel abhängt und keine Probleme hat, seinen schlappen Bauch zu präsentieren. Der lacht, schreit, weint, liebt, sinniert, fordert und verurteilt, ohne Rücksicht auf sich und andere.
Fassbinder, geboren am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen im Allgäu, schrieb Drehbücher und Theaterstücke, inszenierte, spielte und produzierte. Masucci zeigt ihn als Besessenen, der nie Ruhe findet, weil ihn seine Ideen förmlich bedrängen, der ausrasten kann, wenn andere nicht sofort verstehen, was er will. Dabei spannt der Film einen Bogen vom Theaterdebüt am Münchner Action-Theater mit Georg Büchners Komödie „Leonce und Lena“ Ende der Sechzigerjahre bis zu seinem frühen, einsamen Tod am 10. Juni 1982 in seiner Münchner Wohnung im Alter von nur 37 Jahren.
Über die Jahre versammelt er eine illustre Gruppe von Menschen um sich, wie eine große Familie. Manche verletzt er so tief, dass sie sich zurückziehen. Andere nehmen seine Launen in Kauf und arbeiten trotzdem mit ihm, darunter seine Muse Hanna Schygulla, Barbara Sukowa, Rosel Zech oder Brigitte Mira, im Film gespielt von Eva Mattes. Doch tief im Herzen ist der Filmemacher verzweifelt auf der Suche nach Liebe, vor allem zu Männern. Seine oft dramatischen Beziehungen sind ein wichtiger Teil des Films, etwa zum Schauspieler Günther Kaufmann.
„Er hatte so viel abzuarbeiten an sich, an der deutschen Gesellschaft, dass ein Leben, so stark auch immer, einfach nicht ausreichen konnte“, sagt Regisseur Roehler über Fassbinder: „Der große Zirkus, das Rampenlicht, die Legenden, die er schuf, haben ihn verschlungen.“