Der fünfte Geburtstag des kleinen Bruders beginnt am 28. August 1988 mit einer Torte und einem Lied. Seine Schwester ahnt nicht, dass dieser Tag im Spätsommer der letzte in ihrer beider Leben sein wird. Weil es sich der Bruder wünscht, fährt die Familie zur Flugshow der US-Army und ihrer Verbündeten im rheinland-pfälzischen Ramstein. Bei der Vorführung durch eine italienische Flugeinheit geschieht ein tragisches Unglück: Eine Maschine stürzt ab. 70 Menschen verlieren ihr Leben, darunter auch die beiden Kinder und ihre Mutter. Die Schicksale der Angehörigen der Toten, der Verletzten und Traumatisierten stehen im Zentrum des dokumentarischen Fernsehfilms „Ramstein – Das durchstoßene Herz“, das Kai Wessel nach einem Drehbuch von Holger Karsten Schmidt inszenierte. Das Erste strahlt den zutiefst berührenden Film heute um 20.15 Uhr aus.
Erstmals kam Autor Schmidt 1998 in Kontakt mit einer von den Psychologen Sybille und Hartmut Jatzko sowie Heiner Seidlitz organisierten Nachsorgegruppe von Betroffenen des Unglücks, das Deutschland im Jahr 1988 bis ins Mark erschütterte. Gemeinsam versuchen sie, das Erlebte besser zu verarbeiten. Ihre Erfahrungen und Gefühle bilden das Grundgerüst des Films. Mitglieder der Gruppe haben den gesamten Entstehungsprozess des Dramas begleitet – von der ersten Idee über die Drehbuchphase und den Dreh. Bis zum Schluss ließen ihnen die Macher und die Redaktion des Südwestrundfunks (SWR) die Entscheidung offen, ihre Einwilligung zurückzuziehen, dass ihr Schicksal ein Teil des Films wird. Ein Betroffener habe tatsächlich darum gebeten, seine Geschichte herauszuschneiden, berichtet Produzentin Simone Höller.
Aus dem Gefühl heraus, persönliche Schicksale auf den Bildschirm zu bringen, hätte er sich besonders verantwortlich für die Qualität des Films gefühlt, erklärt Regisseur Wessel. Die Geschichten hätten ihn demütig und bescheiden gemacht. Seine gesamte Kreativität habe er eingebracht, um der Wahrheit nahezukommen.
Mit spektakulären Spezialeffekten stellt er die Katastrophe und den Feuerball nach. Großen Raum nimmt auch das Chaos ein, das in den Stunden nach dem Unglück herrschte. Um dann Einzelne aus der Masse herauszuheben – etwa den Vater Robert Müller (Max Hubacher), der seine Frau und seine beiden Kinder verlor. Bernd Lehmann (Oliver Reinhard), der dem Brand entkommt, dessen Sohn aber wochenlang vermisst wird. Dorothea Kleiber (Alina Stiegler), die monatelang um ihren Vater und ihre Brüder bangt, die in verschiedene Krankenhäuser eingeliefert wurden.
Bis zu sechs Stunden saßen Schauspieler und Statisten in der Maske, um die Brandwunden nachzubilden. Zweimal verlässt der Film die Opferperspektive. Aus hunderten Helfenden greift er einen jungen Arzt und einen Sanitäter heraus, die am Ort des Geschehens im Einsatz sind und nun ebenfalls mit den Bildern des Schreckens leben müssen – Matthias Kruse (Jan Krauter), der als erster Mediziner eintraf, und Daniel Wendt (Ron Helbig), der an seinem ersten Arbeitstag als Sanitäter in Ramstein war und noch wochenlang Verletzte pflegte.
Zudem folgt der Film dem ermittelnden Staatsanwalt Hagen Dudek (Trystan Pütter) und seiner jungen Kollegin Jeanine Koops (Elisa Schlott), die im Auftrag der Landesregierung die Abläufe des Unglückstages untersuchen. Dudek stößt nicht nur auf eine Mauer des Schweigens, insbesondere bei den Amerikanern. Er ist auch entsetzt, dass nicht einmal minimalste Sicherheitsbestimmungen eingehalten wurden – eine unbequeme Erkenntnis, die unter den Teppich gekehrt wird. Bis heute, das macht die anschließende Dokumentation (siehe Kasten) klar, ist das Unglück vom 28. August 1988 nicht aufgearbeitet. Offenbar hoffen die Verantwortlichen auch auf das Vergessen. Dieser sehenswerte Film bringt mit seinem dokumentarischen Stil die Opfer und ihr Leid wieder hautnah in Erinnerung.