Keine Denkverbote

von Redaktion

WDR-Intendant Buhrow: Rede zur Zukunft von ARD und ZDF

Er betonte, dass er „für sich“ spreche, nicht in seiner Funktion als ARD-Vorsitzender. Das ist natürlich ein bisschen kokett – WDR-Intendant Tom Buhrow dürfte sich des Wertes seiner Worte durchaus bewusst sein. Entsprechend viel Aufmerksamkeit bekommen seine jüngsten Ausführungen nun. Sie haben es allerdings auch in sich.

Der 64-Jährige hat sich am Mittwochabend bei einer Veranstaltung in Hamburg sowie in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die die Rede publizierte, für eine Rundfunk-Reform und einen neuen Gesellschaftsvertrag für die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ausgesprochen. Dabei stellt er sogar die Frage in den Raum, ob es ARD und ZDF als parallel existierende Anstalten brauche. Sein Eindruck sei: „Deutschland scheint uns in zehn Jahren nicht mehr in dem Umfang zu wollen – und auch finanzieren zu wollen wie heute.“ Buhrow konkret: „Erstens: Wir müssen aus dem bisherigen System Staatskanzleien hier, Sender dort ausbrechen. Zweitens: Wir brauchen dafür einen Runden Tisch, der einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeitet. Eine Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk.“ Drittens dürfe es in dieser Runde keine Tabus und Denkverbote geben.

Es brauche einen gedanklichen Neuanfang ohne die typischen Selbstverteidigungsreflexe, hieß es von Buhrow weiter. Er führte dazu mit Blick auf das ARD-Gemeinschaftsprogramm Das Erste und das Hauptprogramm des ZDF aus: „Die erste Frage – glaube ich –, die wir uns stellen müssen, ist: Will Deutschland im 21. Jahrhundert weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?“ In der Rede ging es auch um die zukünftige Ausgestaltung der ARD-Regionalprogramme und die Rolle von Orchestern, Bigbands und Chören. Zudem warb Buhrow dafür, offen über bundesweites Radio zu diskutieren, was es bislang innerhalb der ARD nicht gibt.

SWR-Intendant Kai Gniffke, der Buhrow 2023 als ARD-Chef nachfolgt, sagte dazu: „Ich nehme den Text als Ansporn, mutig zu sein und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukunftsfest zu machen.“ Buhrow fordere zu Recht, „Netflix und Co die Stirn zu bieten“. Um dafür die Ressourcen zu haben, sei es „richtig, auch Dinge zu überdenken, die wir lange für unantastbar gehalten haben, Stichwort Hörfunk-Wellen, Orchester, Produktionsstätten oder lineare TV-Kanäle“. Gniffke ließ zugleich Zweifel an der Idee eines Runden Tisches erkennen. Dafür müsse man die Zuständigkeit für Medienpolitik erst neu regeln: „Das kann Jahre dauern. Diese Geduld habe ich nicht.“ Man sollte jetzt den Elan in der ARD nutzen, „um mutige Reformen anzuschieben. Der künftige Medienstaatsvertrag gibt die dafür nötigen Spielräume.“

Lob für Tom Buhrow kam gestern von Finanzminister Christian Lindner. Die Initiative verdiene „außerordentlichen Respekt“, so der FDP-Politiker. „Wenn wir die Öffentlich-Rechtlichen wieder stärken wollen in ihrer Legitimität, geht das nur durch Reformen.“ Im Hinblick auf die Zukunft von ARD und ZDF meinte Lindner: Denkbar sei, die jeweiligen Profile zu schärfen. „Auf der einen Seite eine stark regionalisierte Senderfamilie des Ersten und auf der anderen Seite ein stärker national ausgerichtetes Vollprogramm.“

Das ZDF äußerte sich gestern sehr zurückhaltend auf die Offensive des WDR-Intendanten. Er teile nicht die „pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden in Bezug auf die Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, sagte ZDF-Intendant Norbert Himmler. Zugleich betonte er: „Wir sind offen und bereit für diese grundsätzliche Debatte und scheuen dabei auch keinen Vergleich der Systeme.“ Als nationaler, zentral organisierter Sender sei das ZDF effizient aufgestellt und dabei lern- und veränderungsfähig. Das ZDF habe in den vergangenen Jahren bewiesen, dass erfolgreiche Reformen möglich sind. Himmler nahm auch die Medienpolitik in Schutz. Er nehme sie „als beweglicher wahr, als Tom Buhrow das tut“, so der ZDF-Chef. „Die Initiative etwa, mit funk ein nonlineares Angebot für junge Leute zu beauftragen, ging von den Ländern aus.“ Himmler: „Zur Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt gehört bisher auch der publizistische Wettbewerb zwischen ZDF und ARD.“  dpa/thy » KOMMENTAR, SEITE 2

Artikel 2 von 2