Nur einen Wunschpunkt

von Redaktion

PORTRÄT Sams-Autor Paul Maar wird 85 – das BR Fernsehen erzählt seine Lebensgeschichte

VON ASTRID KISTNER

Manchmal träumt er Gedichte. „Dann hole ich mitten in der Nacht Stift und Papier, schreibe, lausche dem Rhythmus der Worte und kann erst wieder einschlafen, wenn ich fertig bin“, sagt Paul Maar. Seine hellen Augen leuchten, wenn er über das spricht, was ihn durch sein ganzes Leben getragen hat: die Liebe zur Sprache und den Geschichten, die er aus ihr formt. Am morgigen Dienstag feiert der Kinder- und Jugendbuchautor seinen 85. Geburtstag. Das BR Fernsehen widmet ihm in der Reihe Lebenslinien mit „Paul Maar – Das Sams und ich“ bereits heute um 22 Uhr ein sehr berührendes Porträt.

Dem Sams hat er viel zu verdanken – und umgekehrt. 1973 schenkt Maar seiner berühmtesten Kinderbuchfigur das Leben, kurz nachdem er seinen Job als Kunsterzieher an den Nagel gehängt hat. Das Sams – renitent, forsch und bisweilen ziemlich frech – revanchiert sich mit weit mehr als nur einem angenehmen Leben für den Autor. „Es hat das ausgelebt, was ich mich nie getraut habe. Durch das Sams konnte ich gegen meinen Vater rebellieren“, erinnert sich Maar, der bis ins hohe Alter gegen dessen Schatten kämpfte.

Filmemacherin Kim Koch reist mit Paul Maar zurück in seine Kindheit, die geprägt ist vom frühen Tod der Mutter, besucht die alte Schule in Schweinfurt, das Wirtshaus auf dem Land, in das er mit seiner Stiefmutter vor den Bomben des Zweiten Weltkriegs flieht. Als der Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt, ist der Junge neun und sein Papa ein anderer. Wortkarg, gewalttätig, traumatisiert. „Beim kleinsten Vergehen verprügelte er mich mit einem Stück Gartenschlauch“, sagt Maar. Seine Strategie: unsichtbar werden, unauffällig bleiben, bloß nicht auftrumpfen. Trost findet der schüchterne Paul in seinen Bücherwelten und im Malen. Wenn er von damals erzählt, spürt man den leisen Schmerz, die Trauer über die Entfremdung vom Vater noch heute.

Aussöhnen konnte er sich nie. Geblieben aber ist ihm die Feldpost, die seine Stiefmutter ihm als Erbe überließ. „In seinen Briefen hat mein Vater mich so liebevoll bedacht, dass ich mich heute auch wieder an die schönen Momente erinnern kann.“

Die schönsten Erinnerungen aber hat Paul Maar an seine frühe Liebe zur Künstlertochter Nele, mit der er seit 60 Jahren verheiratet ist und drei erwachsene Kinder hat. Bis heute teilen sie das gemütliche Zuhause in Bambergs Altstadt, unterstützt von Pflegerinnen, weil Nele vor fünf Jahren an Alzheimer erkrankt ist. Sie nach und nach an die Krankheit zu verlieren sei die größte Herausforderung seines Lebens, sagt Maar. Nele, diese starke Frau und ehemals Familientherapeutin, hat ihre Sprache verloren. Wie er damit zurechtkomme, will die Autorin im Film wissen. „Gar nicht. Ich komme gar nicht damit zurecht“, sagt Maar und seine Stimme wird brüchig. „Sie segelt weg, und ich kann ihr nicht folgen.“

Doch wie immer, wenn ihn ein wenig der Mut verlässt, tröstet er sich mit dem Schreiben und erinnert sich an seine Figuren. „Der tätowierte Hund“ gehört dazu und „Lippels Traum“; viele zeitlose, wunderbare Bücher und natürlich das Sams mit seinen vielen Wunschpunkten, von denen Paul Maar gern einen hätte. Wofür er ihn einlösen würde? „Für den Wunsch, dass ich nicht vor Nele sterbe – sie alleinlassen zu müssen, ist meine allergrößte Angst.“

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