Als Annas Familie schon ein paar Wochen in der Schweiz lebt, erreicht sie eine schlechte Nachricht. Das Haus in Berlin, das sie fluchtartig verlassen musste, wurde mit dem gesamten Hab und Gut von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Die Hoffnung, bald wieder zurückzukehren, hat sich zerschlagen. Anstatt in die Schranken gewiesen zu werden, haben die Nazis an Macht und Einfluss gewonnen und nach den Reichstagswahlen 1933 begonnen, die Grundrechte auszuhebeln.
Die politische Reichweite dieser Entwicklung ist der neunjährigen Anna allerdings noch nicht bewusst. Für sie zählt etwas ganz Konkretes: Die Nazis sind im Besitz ihres Lieblingskuscheltiers, das sie zurücklassen musste. Hitler hat sozusagen ihr rosa Kaninchen gestohlen.
Mit dem 2019 erschienenen Film „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ beweist Oscar-Preisträgerin Caroline Link ihr besonderes Gespür im Casting und in der Schauspielführung von Kindern. Mit Riva Krymalowski ist ihr ein Glücksgriff gelungen. Die Rolle der Anna spielt die Nachwuchsschauspielerin mit einer Mischung aus Neugier, Frechheit, Witz und Zerbrechlichkeit, womit sie genau zu der starken Persönlichkeit wird, die diese Geschichte tragen kann.
Es ist eine Stärke des Films, auf die schon fast typischen „Nazi-Bilder“ wie Konfrontationen mit zwielichtigen SS-Männern oder dramatische Fluchtszenen zu verzichten. Verharmlost wird dadurch allerdings nichts. Die Inszenierung wirft stattdessen einen genauen Blick auf die Beziehungen innerhalb der Familie. In prägnanten, warmherzigen Szenen erzählt der Film vom Verhältnis zwischen dem Vater und seinen Kindern, aber auch vom Familiengefüge als Ganzes.
Von Station zu Station engt sich der Handlungsspielraum von Annas Familie immer mehr ein. Und doch bewahrt sie auch unter widrigsten Umständen Humor und Lebensfreude. Das gemeinsame Essen wird zum verbindenden Element. Der Zusammenhalt garantiert die dringend notwendige Sicherheit und Geborgenheit. Damit bleibt Caroline Link der Erzählhaltung der Vorlage des 1974 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Buches von Judith Kerr treu, ohne die Augen vor dem Ernst der Lage zu verschließen mit ihren Entbehrungen, Ängsten und Sorgen.
„Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ gibt den Zuschauerinnen und Zuschauern die Botschaft mit, den Lebensmut niemals zu verlieren. Vielleicht gerade deshalb umso glaubwürdiger, weil sie aus dem Mund eines Kindes kommt. RAFFAEL SCHERER
Sendehinweis:
„Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ läuft als Fernsehpremiere am 1. Feiertag um 20.15 Uhr im Ersten.