„Sie haben ja eine ganz nette Stimme. Sehen Sie denn auch einigermaßen aus?“ Der legendäre Karl-Heinz Köpcke sagte einst am Telefon diese nicht sehr charmanten Sätze, die Dagmar Berghoff den Weg auf die ganz große Fernsehbühne ebneten. Als erste Frau verlas sie am 16. Juni 1976 die Nachrichten der ARD-„Tagesschau“. Sie blieb für 23 Jahre bis zu ihrem Abschied am Silvesterabend des Jahres 1999 Sprecherin des Nachrichtenklassikers im deutschen Fernsehen, ihre Stimme ist vermutlich bis heute im Ohr von Millionen älteren Zuschauerinnen und Zuschauern. Morgen wird die langjährige „Miss Tagesschau“ 80 Jahre alt.
Der Lebensweg der in Ahrensburg bei Hamburg aufgewachsenen Berghoff war abseits der Studioscheinwerfer durchaus steinig. Einiges davon hat sie kürzlich in ihrem mit Constantin Schreiber verfassten Buch „Guten Abend, meine Damen und Herren“ erzählt. So behandelten die Eltern, die im Krieg alles verloren hatten, ihr dickes Baby, das mit einer Missbildung der linken Hand zur Welt kam, lieblos. „Meine Mutter war der Ansicht, ich sei nach der Geburt vertauscht worden“, erinnert sie sich. Als die unter Depressionen leidende Mutter sich das Leben nahm, war Dagmar Berghoff sieben Jahre alt. Aufwärts sei es erst wieder gegangen, als der Vater eine neue Frau fand, die Dagmar als Stieftochter akzeptierte.
„Ich glaube, im Laufe der Zeit sind meine Widerstandskräfte gewachsen“, sagt Berghoff nun beim Interview in ihrer mit Kunst und Antiquitäten stilvoll eingerichteten Wohnung in der Hansestadt. Die Ex-Medienfrau mit der angenehm rauchigen Stimme, die Kaffee und Kekse serviert, antwortet sachlich und professionell – und wirkt zugleich entwaffnend aufrichtig. Besonders die Erwartung ihres Vaters, aus ihr werde wohl mal Sekretärin, habe ihren Ehrgeiz geweckt. Denn ihr Berufswunsch war Schauspielerin, seit sie mit neun Jahren gegen zehn Pfennig Eintritt selbst verfasste Stücke aufgeführt hatte. So schrieb sie mit 15 Jahren heimlich dem Schauspielstar Joseph Offenbach (1904-1971, „Die Unverbesserlichen“) – und sprach ihm vor.
Offenbach fand sie begabt. Also ging Berghoff nach dem Abitur 1962 als Au-pair nach London und Paris, um Sprachen zu lernen. Und um dann mit dem Ziel einer Bühnenlaufbahn die staatliche Schauspielschule in Hamburg zu besuchen. Mit Jobs unter anderem bei der Post und in einer Käserei verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt. Doch nach ihrem Examen kam alles anders als geplant. Trotz eines Angebots des Theaters im nordrhein-westfälischen Münster fasste Berghoff als Sprecherin beim damaligen Südwestfunk (SWF) in Baden-Baden Fuß – und ging 1975 der Liebe wegen zurück nach Hamburg. Dort kam bald der Anruf vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) – der Rest ist Fernsehgeschichte.
Der damalige Chefsprecher Köpcke (1922-1991) stand bei ihrem ersten Auftritt in der 20-Uhr-Ausgabe dicht neben ihr. „Ich dachte, das machen die immer so. Aber er hat wohl gemeint, dass ich als Frau vielleicht doch die Nerven verliere und zusammenbreche“, erinnert sich Berghoff lächelnd. Als Quotenfrau habe sie sich nie gefühlt, das Wort habe es noch gar nicht gegeben. „Von Feministinnen wurde ich ja ein wenig als Vorreiterin vereinnahmt. Doch das war nie meine Intention. Ich bekam nur einen tollen Job angeboten – und den habe ich gemacht.“ Dennoch sieht sich die Frau, die in den Siebzigern ein paar Jahre mit dem Filmemacher Dieter Wedel (1939–2022) liiert war („Ich war die Affäre“) und mit 47 Jahren den Arzt Peter Matthaes heiratete, auf der Seite der Frauenrechtlerinnen – aber eher entspannt.
Legendär wurde 1988 ein Berghoff’scher Versprecher – das angebliche „WC“-Tennisturnier (statt „WTC“) in den USA, das Boris Becker gewonnen habe. Worauf die Sprecherin noch einen Lachanfall bekam. Vor der Sendung, verrät sie, habe sie in der Redaktion noch gescherzt: „Soll ich mal sagen: ,Boris Becker hat im WC gewonnen?‘“ Ihre Arbeit bei der „Tagesschau“ beendete die im Jahr 1995 zur Chefsprecherin aufgestiegene Berghoff auf eigenen Wunsch an einem markanten Datum. „Ich hatte mir dafür die Silvesterausgabe 1999 überlegt“, erzählt sie. Mehr Zeit für ihren Mann wollte sie haben. Doch Matthaes starb nur ein Jahr später an Krebs.
Die Trauer habe sie in eine so tiefe Krise gestürzt, dass sie selbst nicht mehr leben wollte, offenbart Berghoff. Nur ein Zufall verhinderte ihren Suizid. Inzwischen lebt Berghoff, die auch an anderer Stelle im Fernsehen zu sehen war („NDR Talk Show“, „Wunschkonzert“) im Hier und Heute. Auch ein wenig Arbeit gehört nach wie vor zu ihrem Leben. Gerade hat sie etwa Lesungen und weitere Termine mit ihrem Buch absolviert. Dazu steht am 5. Februar auch ein Auftritt in der MDR-Talkshow „Riverboat“ an.