Mit Kajal statt Knarre

von Redaktion

„POLIZEIRUF 110“-KRITIK André Kaczmarczyk glänzt als charmanter Brandenburger Kommissar

VON ASTRID KISTNER

Man kann sich diesem Kommissar nur schwer entziehen. Ob’s an der Charakterzeichnung oder dem Charisma von Schauspieler André Kaczmarczyk liegt? Vermutlich findet im „Polizeiruf 110“ einfach zusammen, was zusammengehört. Der Krimi-Star stattet den Brandenburger Ermittler Vincent Ross mit so viel Empathie, Offenheit und Menschenfreundlichkeit aus, dass der Fall fast schon Nebensache wird.

Auf den ersten Blick sieht ja auch alles nach Verbrechensroutine aus. Ein Mann wurde unweit des Jakobswegs aus nächster Nähe erschossen. Doch wie lässt sich ein brutaler Mord mit dem fast schon zufriedenen Gesichtsausdruck des toten Pilgers vereinbaren? Kommissar Ross (Kaczmarczyk) leistet erstmals ohne seinen ehemaligen Partner Adam Raczek (Lucas Gregorowicz schied im Dezember aus, wir berichteten) klassische Ermittlungsarbeit. Ein Solo für den genderfluiden Kriminaler, der lieber Kajal als Knarre trägt? Nicht ganz: Drehbuchautor Mike Bäuml stellt ihm einen übereifrigen, etwas schrammeligen Dorfpolizisten (Frank Leo Schröder) zur Seite, der im Nachbarrevier nicht den größten Respekt genießt, von Ross aber mit offenen Armen ins Team aufgenommen wird. Da ist er wieder, der Menschenfreund mit dem einnehmenden Wesen.

Wie die deutsche Antwort auf Popstar Harry Styles schlendert Ross im extravaganten Outfit mit lackierten Fußnägeln durch die sonntägliche Krimi-Tristesse und spendet Wärme, wo andere Ermittler ihre Neurosen ausleben, poltern und sich durch Verhöre ätzen. „Warum geht so einer wie Sie eigentlich zur Polizei?“, fragt der Kollege Rogov in einer Szene des ARD-Krimis. „Weil sich einfach alles ändern muss“, antwortet Ross.

Drehbuch und Regie (Felix Karolus) sorgen dafür, dass diese neue Achtsamkeit die richtigen Adressaten findet. Denn aus dem anfangs so simpel scheinenden Fall entwickelt sich ein vielschichtiges Drama, in dem sich Insolvenzen und persönliche Schicksale häufen. Dabei hat „Der Gott des Bankrotts“, wie dieser Fall heißt, durchaus menschliche Gestalt: Bernhard Schir als eiskalter Insolvenzverwalter und Godehard Giese als Schuldnerberater bilden ein gefährlich gutes Duo. Ein Krimi mit überzeugender Besetzung und einem Kommissar, der auch in Zukunft volle Aufmerksamkeit verdient.

Artikel 2 von 3