Die Entführung und Ermordung des Managers und Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) im Jahr 1977 ist vielen Menschen in Deutschland noch ein Begriff. Doch dass sich in Italien im Jahr darauf ein Fall ereignete, der der Schleyer-Entführung sehr stark ähnelte, wissen wohl die wenigsten in der Bundesrepublik. Die Entführung von Aldo Moro (1916-78), Parteivorsitzender der christdemokratischen Democrazia Cristiana, durch die Brigate Rosse (Rote Brigaden) gilt als einer der Tiefpunkte der neueren Geschichte Italiens zwischen 1968 und 1988. Eine Ära der politischen Unruhen, der Massendemonstrationen, der Krawalle und des Terrors. Arte zeigt mit der sechsteiligen Miniserie „Und draußen die Nacht“ an diesem Mittwoch ab 21.55 Uhr und diesem Donnerstag ab 22.30 Uhr eine äußerst aufwendig gemachte Rekonstruktion dieser Schicksalstage für Moro.
Italien ist im Jahr 1978 geprägt von einer Wirtschaftskrise, Unruhen und tiefen Gräben in der Gesellschaft. Die für die westliche Welt ungewöhnlich starken Kommunisten haben eine radikale Jugendbewegung hervorgebracht, die staatlichen Autoritäten mit Hass begegnet. Gewalt auf den Straßen und politische Attentate sind an der Tagesordnung. Die Democrazia Cristiana stellt unter Giulio Andreotti eine Minderheitsregierung. Um die Position der Regierung zu stärken, setzt sich der konservative Parteivorsitzende Aldo Moro für einen Kurs der Zusammenarbeit – einen „historischen Kompromiss“ – mit der kommunistischen Partei (PCI) und der gemäßigten sozialistischen Partei (PSI) ein. An beiden Rändern des politischen Spektrums sorgt die Einigung für eine zunehmende Radikalisierung.
Am 16. März 1978 soll schließlich der „historische Kompromiss“ im Parlament verhandelt werden. Moro begibt sich in Begleitung seiner Leibwächter in seiner Dienstlimousine auf den Weg dorthin. Doch er kommt dort nie an. Als der Spitzenpolitiker wie jeden Morgen an einem Blumenstand halten will, lauert seinem Tross ein Kommando der Brigate Rosse auf, mäht mit Maschinengewehren Moros Beschützer nieder und zerrt ihr Opfer in ein Fluchtauto. Dort verliert sich zunächst seine Spur. Wochen des Bangens beginnen.
Der verschwundene Moro, gespielt vom vielfach ausgezeichneten Fabrizio Gifuni („Meine geniale Freundin“), wird zum Spielball der Kräfte. Die Polizei riegelt Straßen ab und veröffentlicht Steckbriefe. Die Regierung streut öffentlich Zweifel an Moros Zurechnungsfähigkeit, um seinen Wert als Geisel zu mindern. Moros Studienfreund, Papst Paul VI. (Toni Servillo), versucht, eigene Wege für eine Befreiung zu gehen. Im Vatikan türmen sich Berge von Geldscheinen – alles Spenden für das Lösegeld. Immer mehr Menschen mischen in dem Chaos mit, darunter ein halbseidener Berater aus den USA und ein vermeintlicher Hellseher. Währenddessen werden die Geiselnehmer immer nervöser.
Regisseur Marco Bellocchio (83) setzt sich in seinen filmischen Arbeiten immer wieder mit den Revolten der Sechziger- und Siebzigerjahre auseinander. Schon sein erster Spielfilm „Mit der Faust in der Tasche“ (1965) greift dieses Motiv auf. Im Jahr 2021 wurde Bellocchio beim Filmfestival in Cannes mit der Goldenen Ehrenpalme für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Bei „Und draußen die Nacht“ konnte er auf ein Team von vier Drehbuchautoren zurückgreifen. Er betont, dass die Serie eine freie Interpretation der Ereignisse sei. Die hochkarätigen Schauspieler und die opulente Ausstattung im überzeugenden Look der Siebzigerjahre verleihen der Serie eine enorm dichte Atmosphäre. Fabrizio Gifuni in der Hauptrolle hat daran großen Anteil.