„Schreiben Sie das einfach so hin?“

von Redaktion

Sky zeigt eine sehenswerte Dokumentation über den Fall des „Spiegel“-Fälschers Claas Relotius

VON BRITTA SCHULTEJANS

Für das Ansehen des Journalismus in Deutschland war es ein Schlag, für Deutschlands traditionsreichstes Nachrichtenmagazin war es der Supergau – der Skandal um den Fälscher Claas Relotius beim „Spiegel“. Sky zeigt von diesem Freitag an unter dem Titel „Erfundene Wahrheit“ eine bemerkenswerte Dokumentation über den Fall.

Der Film beginnt mit einem jungen Mann, der aus dem Off spricht – über seine Probezeit beim „Spiegel“, darüber, wie aufgeregt er war. Der Zuschauer könnte denken, es ist Relotius, der da über seine Anfänge beim Hamburger Nachrichtenmagazin spricht. Doch es ist nicht der Mann, der schweigt, seit bekannt wurde, dass er fast alles, was er für den „Spiegel“ schrieb, frei erfunden hat. Es ist der Lokaljournalist Dennis Betzholz, der da spricht. Betzholz war damals beim Probearbeiten für den „Spiegel“ gegen Relotius angetreten – und hatte den Kürzeren gezogen gegen das vermeintliche Wunderkind. Die falsche Entscheidung, wie man heute weiß.

Ein „Systemversagen“ sei das, was vor seiner Zeit als Chefredakteur da mit Relotius und dessen gefälschten Reportagen beim „Spiegel“ passiert sei, sagt der heutige Chefredakteur Steffen Klusmann in der Dokumentation. Solche Geschichten, sagt Klusmann rückblickend über Relotius’ Reportagen, „gibt es wirklich nur im Märchen – oder in Hollywood.“

Sehr geschickt schneidet die Dokumentation die Reportagen von Relotius – aus dem Off von einem Sprecher vorgelesen – mit Bildmaterial der Orte, die er angeblich beschreibt, gegeneinander, um zu zeigen, dass hier nichts stimmt. Neben Klusmann kommt auch Juan Moreno zu Wort, Relotius’ früherer Kollege, der den Betrug bezeichnenderweise durch hervorragende journalistische Recherche aufdeckte und lange von den „Spiegel“-Verantwortlichen, die das alles nicht wahr haben wollten, nicht ernst genommen wurde. Die Tatsache, dass Moreno Spanier ist, ist für den Fotografen Mirco Taliercio, der den Skandal gemeinsam mit dem Kollegen aufdeckte, die Erklärung dafür, warum bei Deutschlands führendem Nachrichtenmagazin, das „Sagen, was ist“ zu seinem Wahlspruch erhoben hat, in Sachen Relotius lange niemand sehen wollte, was ist.

Eine Szene zeigt eine der vielen Preisverleihungen, bei denen Relotius in seiner kometenhaften Karriere geehrt wurde. Die Jury habe festgestellt, „dass es ja eigentlich Literatur ist“. „Schreiben Sie das einfach so hin?“, wird Relotius gefragt. Es habe von außen nie Hinweise gegeben, sagt „Spiegel“-Chef Klusmann. Eine Aussage, die mit denen des kurdischen Kameramannes Syara Kareb kollidiert. Denn der gibt an, „Spiegel TV“ schon 2017 darüber informiert zu haben, dass Relotius einen Buben in einem Gefängnis im Nordirak nie getroffen hatte. Relotius hatte über ihn die Reportage „Löwenkinder“ geschrieben, nachdem der Junge gemeinsam mit seinem Bruder ein Selbstmordattentat geplant – und es dann, anders als sein Bruder, nicht verübt hatte. Als Kareb diesen Jungen später für „Spiegel TV“ interviewte, habe der angegeben, nie mit Relotius gesprochen zu haben.

Der „Spiegel“, um Ansehen und Image bemüht, hat den Skandal nach eigenen Angaben vollständig aufgearbeitet. In der Dokumentation kommt alledings auch der Compliance-Experte Paul Milata zu Wort. Der meint, wie der ,Spiegel‘ mit der Sache umgegangen sei, sei „weit entfernt von einem normalen Vorgehen“. Das Magazin hätte demnach „deutlich mehr machen müssen“.

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