Vergiftete Freundschaft

von Redaktion

Christian Schwochows Literaturverfilmung „Deutschstunde“ nach Siegfried Lenz feiert Fernsehpremiere

VON UTE WESSELS UND RUDOLF OGIERMANN

Wie wirkt sich ein autoritäres System auf zwischenmenschliche Beziehungen aus? Wie sehr vergiften Angst und ein pervertiertes Pflichtbewusstsein Freundschaften? Davon erzählt Siegfried Lenz’ im Jahr 1968 entstandener Roman „Deutschstunde“, der in der Zeit des Nationalsozialismus spielt. Im Mittelpunkt stehen Dorfpolizist Jens Ole Jepsen und sein Jugendfreund, der Maler Max Ludwig Nansen, dem vom Regime ein Malverbot auferlegt wurde. Jepsen soll – und will – es überwachen und setzt seinen Sohn Siggi als Spitzel auf den Künstler an. Regisseur Christian Schwochow („Der Turm“, „Bad Banks“) verfilmte diesen Klassiker der deutschen Literatur im Jahr 2019 fürs Kino. Der Kulturkanal 3sat zeigt seinen Film an diesem Samstag um 20.15 Uhr als Fernsehpremiere.

Den Rahmen der Handlung bildet ein Aufsatz, den Siggi (Tim Gronau) später in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche schreiben muss – über die „Freuden der Pflicht“. Am Ende der Stunde gibt er ein leeres Blatt ab, aber nicht, weil ihm nichts eingefallen ist, sondern weil er zu viel zu schreiben hätte. Es muss zur Strafe in die Zelle, wo er anfängt, seine Geschichte zu Papier zu bringen. Er schreibt und schreibt und verlängert dazu die Zeit in der Zelle freiwillig. Er erinnert sich an seine freudlose Kindheit in einem fiktiven Dorf in Schleswig-Holstein – der Strenge des Vaters (Ulrich Noethen) ausgeliefert.

Die einzigen Lichtblicke im Leben des kleinen Siggi (Levi Eisenblätter) sind die Malstunden bei Nansen (Tobias Moretti). Der Maler – als Vorbild für die Figur gilt Emil Nolde, dessen expressionistische Werke im Nationalsozialismus als „entartete“ Kunst verboten wurden – lässt sich trotz aller Repressionen das Denken nicht verbieten. Und das Malen ebenso wenig. Siggi mag Nansen – und stellt sich, ob er will oder nicht, damit gegen den eigenen dominanten Vater.

Schwochows Verfilmung lebt von der Topbesetzung – unter anderen Johanna Wokalek, Marek Harloff und Michael Wittenborn – und der rauhen Szenerie an der Nordsee. Noethen spielt den Spießbürger Jepsen, der – Gesetz ist Gesetz – selbst seinen Freund an die Nazis ausliefern würde. Moretti verkörpert den kritischen Künstler, der um sein Werk, aber auch um die Freiheit des Denkens und um die Freundschaft zu den Jepsens kämpft.

Dem Regisseur gelinge es, „den bekannten Text in einen zeitlosen, absolut allgemeingültigen Kontext zu stellen“, schrieb die Kritikerin unserer Zeitung zum Kinostart, „weg vom Nationalso- zialismus allein, hin zum Zerbrechen von Freundschaft und zur Erosion jeglicher Menschlichkeit durch den Druck von außen“.

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