Onkel Toms Wundertüte

von Redaktion

FILM DER WOCHE „Mission: Impossible Dead Reckoning“ macht Actionfreunden Spaß

VON THOMAS WILLMANN

Und dann zeigt Tom Cruise einen Zaubertrick. Schwupp, erscheint der Schlüssel in der scheinbar leeren Hand. Schwupp, ist er wieder weg. Schwupp, ist er in der anderen Hand. Und der Film muss merklich an sich halten, dass Cruise nicht noch demonstriert, dass der Schlüssel in Wirklichkeit bei Hayley Atwell hinterm Ohr war. Man sieht Cruise den Stolz auf den Trick an, den er bestimmt lange geübt hat. Und in der Szene wird klar, zu was die „Mission: Impossible“-Filmreihe sich gewandelt hat.

1996 wuchtete Brian De Palma die alte Spionage-TV-Serie auf die Kinoleinwand. Das Resultat: einer der ersten US-Blockbuster, der sich nach der Ära Schwarzenegger/ Stallone Gedanken machte, wie es weitergeht mit dem Action-Genre. In einer virtualisierten Welt, wo Macht in Datenströmen liegt, statt in der Bewegung von Masse durch Raum. Und in der Identitäten zunehmend instabil werden. Doch schon in „M:I 2“ zementierte John Woo – mit Tom Cruise in Christuspose am Felshang von Monument Valley – den anderen Grundpfeiler des Franchise: die Zelebrierung des Stars, seines Leibes, seines megalomanen Ringens mit der Vergänglichkeit.

Seither bewegt sich die Reihe zwischen diesen beiden Polen. Auch bei „Dead Reckoning“ ist das nicht anders: Einerseits kämpft Superspion Ethan Hunt gegen eine außer Kontrolle geratene Künstliche Intelligenz (KI), die sämtliche digitale Daten manipulieren kann und Hunts Team Schein-Wirklichkeiten vorspiegelt. Andererseits gibt’s, groß publiziert, einen der gefährlichsten Stunts in Cruises Karriere – einen Motorradsprung über eine Klippe, der zum Fallschirmsprung wird (das Making-of-Video online lohnt sich!).

Doch was da zum Thema KI verzapft wird, ist nur ein hinreißendes Sammelsurium an aufgeschnappten Schlagworten und frei flottierenden Ängsten. Und bei aller Virtualität gilt die Jagd dann doch ganz physisch einem greifbaren McGuffin: besagtem Schlüssel, schwups.

Weniger denn je schert „Dead Reckoning“ sich groß darum zu kaschieren, dass zunächst die spektakulären Action-Sequenzen geplant werden und dann lose ein Plotgewebe drumherum gestrickt wird. Viel Hetzen im Fünfvierteltakt, unterbrochen durch Exposition in reinstem Schwurbel-Blah. Der Witz aber: In diesem Fall sind die Teile mehr als ihre Summe. Denn der Film ist sich seiner Grundalbernheit bewusst, feiert sie mit Lust und Verve. Die „M:I“-Reihe ist dort angekommen, wo James Bond in den besseren Momenten der Roger-Moore-Phase war. Und wenn’s eines Beweises dafür bedarf, dass das sehr bewusst ist: pronto – die Verfolgungsjagd im gelben Fiat 500.

Mit Christopher McQuarrie als Stammregisseur ist „Mission: Impossible“ zu einer Art Familienfeier geworden. Wo der etwas exzentrische Lieblingsonkel erzählt, was er zuletzt in der Zeitung gelesen hat (KI! Russische Militärmanöver!), und Urlaubs-Dias von seinen Weltreisen zeigt (Wüste. Venedig. Rom). Wo er mit den guten alten Verwandten abhängt und neue Familienmitglieder begrüßt (Vanessa Kirby, Pom Klementieff als zwielichtige Gestalten). Und zum Höhepunkt des Fests führt er vor, was er sich in seiner verschleppten Midlife-Crisis an neuen, mehr oder minder extremen Hobbys zugelegt hat. Von Taschenspieler-Tricks bis Sport am Orientexpress. „Mission: Impossible“, das ist Onkel Toms Wundertüte. Und wenn man Sinn hat für ein Kino, das so größenwahnsinnig wie persönlich ist, dann darf man sich sehr freuen, dass wir regelmäßig eingeladen sind, wenn er sie aufmacht.

„Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins“

mit Tom Cruise, Simon Pegg

Regie: Christopher McQuarrie Laufzeit: 163 Minuten

Sehenswert ((((;

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