Unter die Haut

von Redaktion

Die ARD-Doku-Reihe „Flaesh“ beleuchtet sehenswert die Tattookultur in Deutschland

VON MICHAEL SCHLEICHER

Respekt, jetzt haben sie bei der ARD den Rembrandt vor die Kamera geholt. Schon klar, der Meister aus den Niederlanden ist seit fast 354 Jahren tot – dafür steht nun der Rembrandt des armen Mannes Rede und Antwort: So nennt sich nämlich der Tattookünstler Henk Schiffmacher. Ebenfalls Niederländer, ebenfalls eine Legende, ebenfalls verewigt in Bildbänden (fantastisch jener des Kölner Taschen Verlags!) – und heuer im Juni eben zu Gast im Rembrandt-Haus in Amsterdam. Dort hatten Schiffmacher und sein Team ihr Tattoostudio aufgebaut, um den Museumsgästen Werke von Rembrandt und eigene Kreationen unter die Haut zu stechen.

„Flaesh“ heißt die Doku-Reihe über die Körperkunst mit Nadel und Farbe, die das Erste in seiner Mediathek stehen hat und die morgen von 22.10 Uhr an im MDR Fernsehen am Stück läuft. Die vier Filme hätten einen attraktiveren Sendeplatz verdient. Zwar fürchtet man Schlimmes, wenn sich die Öffentlich-Rechtlichen eines Themas annehmen, das sie als hip identifiziert haben (und allzu oft sind alle Befürchtungen berechtigt). Doch ist den Regisseurinnen Yasemin Said, Johanna Hesselbarth und Sophie Jakubetz sowie Autor Marcus Fitsch eine sehr gute Arbeit geglückt: informativ, unterhaltsam, mit Männern und Frauen als Gesprächspartnern, die etwas zu sagen haben. Das Ganze ist obendrein filmisch zeitgemäß umgesetzt, ohne sich irgendeiner Zielgruppe anzubiedern.

Studien sagen, dass heute jeder fünfte Deutsche tätowiert ist. „Flaesh“ bleibt daher im Hier und Jetzt. Rückblicke in die lange und vielseitige Geschichte des Tätowierens kommen nur am Rande vor. Die Regisseurinnen haben die vier jeweils 30 Minuten langen Filme mit je einer Frage überschrieben: „Ist das Kunst?“, „Mehr als Schmuck?“, „A Man’s World?“ und „Alles nur geklaut?“ In jeder Episode stehen zwei Künstlerinnen oder Künstler im Zentrum, die zwar kein Gegensatzpaar sind, so aber doch ein unterschiedliches Verständnis ihres Berufs haben – oder aus verschiedenen Ecken darauf blicken.

Die eindruckvollste Folge ist „Mehr als Schmuck?“, die erzählt, wie Tattoos Menschen unterstützen können. Da ist etwa Daniel Bluebird, der sich aufs Cover-up von Narben spezialisiert hat. Heißt: Er hilft Leuten, die sich – oft als Jugendliche – durch Selbstverletzung unübersehbare Wunden zugefügt haben, indem er die Narben in seine Bilder integriert, sie damit weniger auffällig macht. Existenziell ist auch Hanadi Chawafs Geschichte, der in ihrer Heimat Syrien mit ewiger Verdammnis gedroht wurde, sollte sie sich tätowieren lassen. Nach geglückter Flucht in die USA führte sie der Weg direkt ins Tattoostudio – Freiheit feiern. Heute arbeitet sie in Hamburg: politisch, feministisch, sozial engagiert. Überhaupt kann man das Regie-Trio nicht laut genug dafür bejubeln, dass es zahlreiche Künstlerinnen in den Fokus rückt; all die Frauen an den Tätowiermaschinen – stellvertretend seien Yase Farbextase und Ela Pour genannt – blieben zu lange hinterm Testosteron-Wall verborgen. Zeit, dass sich das dreht.

Bleibt die Frage, ob Tattoos Kunst sind – oder Handwerk. Eine Frage, die jeder und jede für sich beantworten muss. Wobei Henk Schiffmachers Ansatz bedenkenswert ist: „Wir sind gerne der Rembrandt für Arme“, sagt der 71-Jährige. „Unsere Kunst soll nicht im Museum hängen, sondern auf dem Fahrrad herumfahren, auf der Straße zu sehen sein. Das ist die Galerie für unsere Arbeiten, denn sie sind etwas Lebendiges.“

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