„Ich bereue nichts“

von Redaktion

Iris Berben über ihren Film „Paradise“, käufliche Lebenszeit und den Traum von der ewigen Jugend

Lebensjahre gegen Geld – mit diesem Geschäftsmodell ist in einer nahen Zukunft der Konzern Aeon unter der Leitung von Sophie Theissen (Iris Berben) zu einem mächtigen Global Player geworden. Theissens Mitarbeiter Max Toma (Kostja Ullmann) hat besonders viele Interessenten gewinnen können. Doch dann zerstört ein Feuer die Wohnung, die er gemeinsam mit seiner Frau Elena (Marlene Tanczik) bewohnt. Weil die Versicherung nicht zahlt, wird Elena gezwungen, fast vierzig Jahre Lebenszeit zu verkaufen. Max Toma will sich damit nicht abfinden. „Paradise“ heißt dieser Science-Fiction-Film von Boris Kunz nach dem Drehbuch von Simon Amberger und Peter Kocyla, zu sehen ab heute beim Streamingdienst Netflix. Unsere Zeitung sprach mit Iris Berben (72).

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das Angebot für diesen Film bekommen haben?

Ich dachte: Oh, wie klug! Was für eine präzise Bestandsaufnahme unserer Zeit! Für mich ist das nicht nur Near Future, für mich ist vieles davon schon Gegenwart. Dieser Film verhandelt Themen, die uns alle beschäftigen – und beschäftigen sollten. Selbstoptimierung, Ausbeutung, Machtmissbrauch, der Traum von der ewigen Jugend.

Lebenszeit gegen Geld – ein verführerischer Gedanke. Auf jeden Fall abzulehnen, auch wenn es auf freiwilliger Basis geschieht?

Natürlich denkt man: Wenn es auf freiwilliger Basis geschieht, ist es in Ordnung. Es ist ja ein fairer Deal. Aber gleichzeitig muss man fragen, wer es sich leisten kann, Lebenszeit zu kaufen, und wer nicht. Abgesehen davon wird ja jetzt schon daran geforscht, wie das Leben verlängert werden kann. Auf 120, vielleicht irgendwann sogar auf 150 Jahre. Und auch davon werden wohl vor allem die Superreichen profitieren.

In Ihrer Rolle als Sophie Theissen sagen Sie sinngemäß, wenn die Entscheider älter würden, würden sie weniger nach dem Motto „Nach mir die Sintflut!“ handeln. Und das sei doch gut…

Mir macht das Angst! Das führt ja direkt zur Frage, welches Leben wertvoller ist und welches weniger wertvoll. Das geht schon in Richtung des Rassenwahns der Nazis. Es würde bedeuten, dass wieder aussortiert wird. Diesen Gedanken finde ich entsetzlich.

Es geht in „Paradise“ auch um Missbrauch der Medizintechnik, im Fokus steht eine Frau, die plötzlich keine Wahl mehr hat, als einen Kredit durch Lebenszeit abzulösen. Man fragt sich, welcher Staat, welche Justiz so etwas gutheißen kann.

Dass der Staat das unterstützt, stellt der Film ja auf bedrückende Weise dar. Aber angesichts dessen, was heute wieder möglich ist in manchen Staaten und unter manchen Autokraten, ist das alles andere als Science Fiction. Das sind Szenarien, von denen wir, wie ich finde, nicht so weit entfernt sind.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Lebenszeit zu gewinnen oder sich zu verjüngen, würden Sie davon Gebrauch machen?

Verjüngen nicht, aber Lebenszeit dazubekommen? Ja! Sehr gerne! Wir leben in einer spannenden Zeit voller Umbrüche. Ich bin ein neugieriger Mensch, ich habe große Lust auf das Leben, ich möchte wissen, wie es weitergeht in unserer Gesellschaft, mit unserer Erde. Aber diese Frage bleibt eine hypothetische Frage.

Dass man der verlorenen Jugend nachtrauert, kann auch damit zu tun haben, dass man das Gefühl hat, im Leben etwas verpasst zu haben oder dass man bestimmte Entscheidungen bereut. Wie sieht da Ihre Bilanz aus? Was bereuen Sie?

Ich bereue nichts! Ich bin gerne das geworden, was ich jetzt bin. Ich bin gut mit mir befreundet.

Kein Film, von dem Sie im Rückblick sagen: Den hätte ich besser nicht gemacht?

Nein. Für keinen meiner Filme muss ich mich schämen. Natürlich sind welche dabei, die meinem heutigen künstlerischen Anspruch nicht mehr genügen. Musste ich die machen? Ja, musste ich! Ich war alleinerziehend oder ich dachte, sie würden mich weiterbringen. Ich hatte immer plausible Gründe, zu einem Projekt Ja zu sagen.

Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.

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