Schuld und Gefühle

von Redaktion

Vergewaltigung oder nicht? Die ARD zeigt eine herausragende Miniserie, die diese sensible Frage verhandelt

Er ist ein gefeierter Schlagerstar, sie die beste Freundin seiner Tochter. Was Carsten (Jens Albinus) und Leonie (Paula Kober) verbindet, ist die Liebe zur Musik und eine leidenschaftliche Affäre, die der Sänger just an seinem runden Geburtstag beenden möchte. Doch die große Familien- und Freundesfeier ist feuchtfröhlich, die Stimmung gelöst. Statt einer Aussprache steuert Carsten auf „ein letztes Mal“ Sex zu. „Ich will es nicht mehr“, sagt Leonie und hält ihn doch fest, als er gehen will. Was folgt, sind „37 Sekunden“, an denen sich später die Geister scheiden. Die gleichnamige ARD-Serie, die am Dienstag um 22.50 Uhr startet und in der Mediathek zum Abruf bereitsteht, ist herausragend. Mit Feingefühl diskutieren die Autoren Julia Penner und David Sandreuter die Frage um Vergewaltigung oder einvernehmlichen Sex. In sechs Mal 45 Minuten geht es aber auch um Freundschaft, Verlust, Schuldgefühle und Schmerz. Dabei zeichnet Regisseurin Bettina Oberli alle Figuren so vielschichtig, dass es den Zuschauern schwerfallen dürfte, sich auf eine Seite zu schlagen.

Antje Brandes, Anwältin für Strafrecht, hat die Fachberatung dieser sehenswerten ARD-Dramaserie übernommen. Schließlich ging es den Machern darum, ein Szenario zu schaffen, das möglichst nah an der Realität ist und dem sensiblen Thema auch juristisch gerecht wird.

Beschreibt die Serie ein Szenario, das Sie aus Ihrem Berufsalltag kennen?

Was die Tat und die Tathandlung betrifft auf jeden Fall. Tagtäglich gibt es diese grenzwertigen Situationen, in denen sich viele Opfer vielleicht gar nicht so bewusst sind, was gerade stattgefunden hat. Der soziokulturelle Einfluss nach dem Motto: Da ist doch nix, mach dich nicht so groß, ist sehr präsent.

Als Zuschauer fühlt man sich in der Serie immer wieder hin- und hergerissen…

Das freut mich. Das ist so gewollt.

…und überlegt sich, wie ein Gericht mit dieser komplexen „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ umgeht. Wie ist da Ihre Erfahrung?

Viele Opfer sind mutlos, weil sie denken, es kommt auf weitere Beweise an, und die habe ich ja nicht. Tatsächlich reicht die wahrheitsgemäße Aussage einer sehr glaubwürdigen Zeugin, um eine Verurteilung zu erreichen.

Und wie schützt man zu Unrecht Beschuldigte?

Es wird sehr gründlich untersucht, ob ein erlebnisbasierter Sachverhalt vorliegt, bevor jemand verurteilt wird. Dass Männer durch Falschbekundungen verurteilt wurden, habe ich bisher noch nicht erlebt. Nur umgekehrt kenne ich Situationen, in denen sich Frauen nicht getraut haben, die Täter anzuzeigen.

Ist das deutsche Sexualstrafrecht verbesserungswürdig?

Momentan lautet in Deutschland die Devise: Nein heißt nein. In einigen Nachbarländern wie Spanien, Schweden und der Schweiz gibt es ein fortschrittlicheres System, das besagt: Nur ja heißt ja. Das finde ich sinnvoll. ASTRID KISTNER

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