Beamte im Zwielicht

von Redaktion

Der neue „Tatort“ aus Frankfurt thematisiert rechtsradikale Umtriebe bei der hessischen Polizei

VON RUDOLF OGIERMANN

„Wir sind so viele!“, sagt ein mutmaßlich rechtsradikaler Polizist in Bastian Günthers „Tatort“ vom Sonntagabend. Und zum Kollegen von der Kripo: „Wir wissen ja, wo du wohnst!“ „Erbarmen. Zu spät“, lautet der Titel dieses Krimis. Kenner der hessischen Mundartmusikszene haben womöglich sofort den Song „Erbarmen – zu spät, die Hesse komme!“ der Band Rodgau Monotones aus den Achtzigerjahren im Ohr. Eine fast zynisch klingende Wahl, denn tatsächlich handelt der Film, der harmlosen Liedzeile zum Trotz, von rechten Umtrieben bei der Polizei.

Und die gibt es auch in der Realität, wie eine Serie von Drohbriefen zeigt, die seit 2018 an bisher mehr als 70 verschiedene Personen verschickt wurden. Ziel der meist mit „NSU 2.0“ signierten Morddrohungen – versandt per Fax, Mail oder SMS – war zunächst die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die als Nebenklägerin die Familie eines Opfers der NSU-Morde vertrat. Später erreichten die Schreiben weitere gegen Rassismus und Antisemitismus und für Migranten engagierte Menschen, unter anderen die Fernsehjournalistin Anja Reschke, Politikerinnen und Politiker von Linken, Grünen und SPD, die Entertainerin Carolin Kebekus und den Satiriker Jan Böhmermann. In vielen Fällen hatten Beamte der Polizei Hessen vorher per Computer geschützte Daten wie Adressen abgefragt. Sie gerieten in Verdacht, selbst Urheber der Drohschreiben zu sein oder den Autoren zumindest Beihilfe geleistet zu haben.

Noch 2018 begann das Polizeipräsidium Frankfurt am Main intern zu ermitteln, enttarnte eine sechsköpfige rechte Chatgruppe namens „Itiotentreff“, durchsuchte Büros und Wohnungen, beschlagnahmte Telefone und Computer. Der damalige Landespolizeipräsident Udo Münch und Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) erfuhren davon zunächst nichts, erst nach Medienberichten übernahm das Landeskriminalamt den Fall.

Bis 2020 wurde ein Mitglied der Chatgruppe entlassen, die übrigen fünf wurden beruflich wieder eingegliedert. Insgesamt wurden 15 hessische Polizeibeamte wegen Delikten wie Kinderpornografie, Verletzung von Dienstgeheimnissen oder Volksverhetzung suspendiert, davon drei in Frankfurt. Strafverfahren endeten mit Bewährungs- und Geldstrafen.

Die Vorgänge rund um die „NSU 2.0“-Drohbriefe seien immer noch „verstörend“, so Drehbuchautor Günther. Es blieben „viele offene Fragen“. Als HR-Redakteur Jörg Himstedt mit der Idee, das Thema in einem „Tatort“ zu verarbeiten, zu ihm gekommen sei, „war ich sofort interessiert“, so Günther. „Der Fall um die Drohbriefe ist ja nur ein Fall, bei dem die Polizei in Verbindung zu rechten Aktionen steht. Auch unter Reichsbürgern oder Preppern (Menschen, die sich durch das Anlegen großer Lebensmittelvorräte und den Bau von Schutzräumen auf Katastrophen vorbereiten, Red.) finden sich immer wieder Polizisten und Bundeswehrsoldaten. Und immer wieder wird von Einzelfällen gesprochen. Ich möchte nicht alle Polizisten über einen Kamm scheren, die meisten sind bestimmt gute Leute. Aber wie viele Einzelfälle sind ein Netzwerk?“

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