Märchenhafter Erfolg

von Redaktion

Ein halbes Jahrhundert „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“

VON HANS-JÖRG SCHMIDT UND ALEXANDER BRÜGGEMANN

Das Jahresende ist bei unseren tschechischen Nachbarn fest verplant. Da sitzt ein ganzes Volk vor dem Fernseher und schaut Märchen. Es soll Tschechen geben, die meinen, Weihnachtsfeiertage seien ohne diesen Film zwar möglich, aber sinnlos. Das Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ aus der gemeinsamen Werkstatt der Defa und der tschechoslowakischen Filmstudios in Prag-Barrandov ist vielen sogar wichtiger als Weihnachtskarpfen und Kartoffelsalat. Doch auch in Deutschland, in der Slowakei, in Österreich und in der Schweiz gehören die „Drei Haselnüsse“ jedes Jahr zum Fest. Vor 50 Jahren, am 1. November 1973, hatten sie Premiere.

Die „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, basierend auf einer frechen Bearbeitung des Grimmschen Märchens „Aschenputtel“ durch die Schriftstellerin Bozena Nemcova (1820-1862), ist für immer auch mit der damals zarte 20 Jahre jungen Hauptdarstellerin Libuše Safrankova (1953-2021) verbunden. Gedreht wurde unter anderem in Schloss Moritzburg bei Dresden – mit Pavel Travniček (heute 73) als Prinz und Rolf Hoppe (1930-2018) als König. Regisseur Vaclav Vorliček (1930-2019) ließ Aschenbrödel und ihren Prinzen durch verschneite Landschaften reiten. Erfrischend witzig geht es zu, und die Heldin ist sehr emanzipiert. Selbst mit der bösen Stiefmutter wird sie fertig, wenn auch nur mit der Hilfe dreier Zaubernüsse.

Der Klassiker ist nur ein Beispiel für die Qualität der tschechoslowakischen Märchenfilme der Siebziger- und Achtzigerjahre. Ihre Macher hatten zuvor auch großartige „richtige“ Filme verantwortet, Filme, die nach dem abrupten Ende des Prager Frühlings im Jahr 1968 nicht mehr gemacht werden durften. So wichen die Künstler in die Märchenwelt aus. Die Sechzigerjahre waren die kreativsten in Barrandov gewesen. Eine ganze Generation von jungen Regisseuren, unter anderen Milos Forman („Amadeus“), räumte mit ihren Filmen der „Neuen Welle“ bei den großen Festivals Goldene Palmen und Oscars ab.

Doch mit der Freiheit war bald Schluss. Daran beteiligt waren auch die orthodoxen Kulturwächter aus der DDR Walter Ulbrichts, wo man die gesellschaftliche Sprengkraft der Filme aus dem „Bruderland“ fürchtete. Einige der Regisseure gingen ins Exil, andere sattelten um ins Märchengenre. „Aschenbrödel“ war der Auftakt zur Produktion vieler anderer Märchenfilme, in denen die aus der Nähe von Brünn (Brno) stammende Libuše Safrankova zu sehen war, darunter „Die kleine Meerjungfrau“ (1976) und „Prinz und Abendstern“ (1978). Am 9. Juni 2021 trug ganz Tschechien Trauer, Safrankova starb mit nur 68 Jahren. Über ihren größten Erfolg hatte die Künstlerin nie so gern sprechen wollen – was auch mit ihrem generell zurückhaltenden Wesen zu tun hatte. Einmal verriet sie aber, dass sie den Film zu Weihnachten noch nie gesehen habe. Das liege an den Traditionen ihres katholischen Elternhauses. An diesem Fest bleibe in der Familie der Fernseher prinzipiell aus.

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