Gegen das Schweigen

von Redaktion

Die Auschwitz-Prozesse stehen im Mittelpunkt der Disney-plus-Miniserie „Deutsches Haus“

VON CHRISTOF BOCK

Dolmetscherin Eva (Katharina Stark) kann Polnisch, doch das Vokabular des Quälens und Tötens muss sie erst mühsam lernen. Als sie die Aussagen einer KZ-Überlebenden übersetzt, sagt sie zunächst „Gäste“ für „Häftlinge“, „Herberge“ für „Block“ und – besonders bizarr – „erleuchtet“ für „erstickt“. Erst im zweiten Anlauf schlägt die junge Frau hektisch die anderen Bedeutungen nach – und das ganze Grauen wird ihr bewusst. Die Serie „Deutsches Haus“, zu sehen beim Streamingdienst Disney plus, schont die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht. Der Fünfteiler, der heute startet, ist keine Holocaust-Serie im engeren Sinne. Die Produktion nach dem Bestseller von Annette Hess („Die Frau vom Checkpoint Charlie“, „Weissensee“) rollt die Geschehnisse anhand der Frankfurter Auschwitz-Prozesse der Sechzigerjahre gegen ranghohe NS-Täter auf. Im Mittelpunkt steht die Familie von Eva Bruhns, ihren Eltern Edith (Anke Engelke) und Ludwig (Hans-Jochen Wagner) sowie ihrer älteren Schwester Annegret.

Eva hat keine Erinnerungen an ihre frühe Kindheit unter der Herrschaft. der Nazis. Das Leiden jüdischer Menschen in den deutschen Lagern war für ihren Jahrgang nie Thema. Nicht in der Schule, erst recht nicht bei ihren Eltern, zwei Gastronomen, die in Frankfurt das titelgebende „Deutsche Haus“ bewirtschaften. Doch nach und nach entdeckt Eva, dass auch ihre Eltern Teil dieser großen Maschinerie waren.

Disney hat mit dieser Streamingserie ein Projekt aufgegriffen, das man dem amerikanischen Konzern nicht sofort zutrauen würde. Die Darstellerriege ist erstklassig. Anke Engelke beweist ein weiteres Mal ihr Talent für ernste, ja abgründige Rollen. Heiner Lauterbach gibt mit Verve den pedantischen Lageraufseher. Henry Hübchen überzeugt als Verfolgter des Regimes. Iris Berben absolvierte einen so überzeugenden Auftritt als Holocaust-Überlebende Rachel Cohen, dass am Set viele aus der Crew nach der Szene spontan in Tränen ausbrachen. Abwechselnd schreit sie die leugnenden Angeklagten verzweifelt an: „Du hast nichts gewusst. Du hast nichts gewusst. Und du nicht. Alle habt ihr nichts gewusst.“

Ein besonderer Glücksgriff ist Katharina Stark in ihrer ersten großen Hauptrolle. Sie habe großes Lampenfieber gehabt, sagt sie: „Auch weil das Thema einfach so wichtig ist.“ Die 25-Jährige lernte für die Rolle eigens Polnisch. Sie könne zwar noch nicht völlig fließend sprechen. Aber sie habe eine Lehrerin zur Seite gestellt bekommen in Polen und das dann dort gelernt. Ihre Großmutter, die etwa dem Alter der Hauptfigur Eva entspricht, habe mit ihr viel über diese Zeit gesprochen, ihr auch passende Kleidung fürs Casting zusammengestellt, sagte Stark.

Mit großer Überzeugungskraft stellt die junge Schauspielerin eine Frau aus einer Generation dar, die Fragen zu stellen beginnt. In einer Zeit, in der ein dröhnendes Schweigen über die Vergangenheit herrscht. „Das ist mir sehr bewusst, dieses Schweigen“, sagt Iris Berben. „Ich bin 1950 geboren. Also bin ich in einer Zeit groß geworden, in der das Schweigen wirklich fassbar, hörbar, sichtbar war. Man wollte nicht reden. Man wollte auch in der Schule nicht reden.“ Im Geschichtsunterricht sei die Thematik ausgeklammert worden.

„Die Serie wirbt für Humanismus, Zivilcourage und Aufrichtigkeit dem eigenen Handeln gegenüber“, sagt Autorin Hess: „Wir zeigen, wohin Rassismus und Antisemitismus im schlimmsten Fall führen können.“ In diesem Zusammenhang finde sie es wichtig zu betonen, dass die Menschen vor 80 Jahren „weder schlauer noch dümmer als heute“ waren. Der Mensch sei letztlich immer gleich unzulänglich, beeinflussbar und oft angstgetrieben. „Das Lernen aus der Geschichte ist ein Effekt, der sich verliert über die Generationen.“

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