In ihrem Beruf als forensische Biologin an einem rechtsmedizinischen Institut wird sie ob ihrer Kompetenz geschätzt, privat sieht es bei Inga Ehrenberg (Anne Ratte-Polle) dagegen schlecht aus. Ihre Ehe ist zerbrochen, das Verhältnis zu ihrem Vater (Jörg Gudzuhn) zerrüttet – und dann meldet sich auch noch eine junge Frau namens Charlotte (Olga von Luckwald) bei ihr und behauptet, ihre Halbschwester zu sein. Die engste Beziehung scheint Inga zu einem Tier zu haben – einem Falken, den sie zähmen will. Der Münchner Regisseur Dominik Graf, Spezialist für Filme, die sich keinem klassischen Genre zuordnen lassen, drehte „Mein Falke“, zu sehen morgen bei Arte.
So, wie sich Inga gegen zu viel menschliche Nähe wehrt, winkt sie auch ab, als sie ein befreundeter Falkner bittet, ein Jungtier in ihre Obhut zu nehmen. Doch schließlich lässt sie sich überreden – der Beginn einer besonderen Beziehung. Sie bildet einen Kontrast zum Alltag der Frau, in dem es um den Tod geht, um Leichen, die mehr oder weniger verwest sind, um Hinterbliebene, die Abschied nehmen wollen. Graf (71), vielfach ausgezeichneter Filmemacher. erspart seinem Publikum nicht auch drastische Bilder von Vergänglichkeit und Verfall. Sein Film ist ansonsten geprägt durch einen ganz lebensnahen Ton, durch wie improvisiert wirkende Dialoge. Die Charaktere sind sperrig und schräg – salopp könnte man sagen, dass sie alle irgendwie einen Vogel haben.
Das Drehbuch schrieb Beate Langmaack. Mit ihr arbeitete Graf bereits beim Drama Hanne (2019) mit Iris Berben zusammen. Für seine Filmheldin in Mein Falke habe er viel Verständnis, sagt Graf. „Ich glaube, dass sie eine Figur ist, die damit zurechtkommt, dass sie in ihrem Leben zwischenmenschlich noch nicht weit gekommen ist. Und glaubt das kompensieren zu können in ihrer Arbeit.“ Nur in Momenten, in denen ihre menschliche Seite gefragt sei, „merkt man, wie schwach sie ist“. So eine Haltung sei heute wohl nicht untypisch, meint Graf – und schließt auch die eigene Branche nicht aus. „Gerade mein Beruf, der ja die ganze Welt beinhaltet, füllt einen komplett aus. Damit kann man schon mal die andere Seite – das gelebte Leben – gewissermaßen kompensieren. Doch irgendwann sollte es einem auffallen.“
Sie wolle Frauenfiguren aus neuen Perspektiven erzählen, sagt Hauptdarstellerin Anne Ratte-Polle: „Und hier fand ich es toll zu erzählen, dass eine Frau allein lebt – das Problem aber nicht ist, dass sie keine partnerschaftliche Beziehung hat. Sondern dass sie sich generell vor Menschen verschließt.“ Man könne schließlich sehr gut allein leben, ohne deshalb einsam zu sein. „Den Aspekt finde ich wichtig.“ Sie selbst habe, um sich auf ihre Rolle vorzubereiten, auf einem Falkenhof gelernt, so ein Tier auf die Hand zu setzen und mit ihm spazieren zu gehen. „Es hat etwas sehr Kontemplatives“, erzählt die 49-Jährige: „Diese Vögel sind so feinsinnig, sie nehmen alles wahr. Sobald man nervös ist, werden sie unruhig,“
Ihr Regisseur hat noch eine andere Erinnerung an die Dreharbeiten. „Das Team musste Ruhe halten. Hieß es ,Achtung, Vogel kommt‘, durfte er nicht abgelenkt werden, sonst wäre er nervös geworden“, berichtet Graf, „das hat eine fast flüsternde Konzentration ausgelöst, die für die gesamte Arbeit positiv war. Endlich quatschte mal keiner.“