Viele falsche Fährten

von Redaktion

„TATORT“-KRITIK Der jüngste Fall aus Köln überzeugt dank überraschender Wendungen

VON STEFANIE THYSSEN

Mit seinem ARD-Drama „Geliefert“ hat Bjarne Mädel vor gut zwei Jahren eindrucksvoll aufgezeigt, unter welch unwürdigen Bedingungen Kurierfahrer heute arbeiten müssen. Ein Fernsehfilm, der nicht nur hervorragend geschrieben und inszeniert war, sondern beim Zuschauer nachwirkte. In einem ähnlichen Setting spielt der WDR-„Tatort“, der gestern Abend im Ersten Premiere hatte. Die Geschichte erreicht auf der moralischen Ebene nicht ganz die Wucht von „Geliefert“. Aber „Des anderen Last“ ist ein überzeugender Krimi, der hochspannend ist und einfühlsam von menschlichen Schicksalen erzählt.

Weihnachten steht vor der Tür. Während Freddy auf der Suche nach einem passenden Geschenk für seine Ehefrau Susanne ist und die Kollegen auf dem Revier Zettelchen fürs Wichteln vorbereiten, sind die Kurierfahrer einer Spedition am Limit. Im strömenden Regen liefern sie Pakete aus, Hunderte am Tag, immer unter Zeitdruck, immer unter Stress, stets begleitet von einem GPS-Gerät, mit dem Chefin Sybille Jäger (herrlich fertig: Susanne Bredehöft) sie rund um die Dienst-Uhr kontrollieren kann. Zu allem Überfluss müssen die Angestellten im Advent auch noch als Weihnachtsmänner und -frauen verkleidet sein. „Das gibt mehr Trinkgeld.“

Auf einer seiner Fahrten wird Bote Milan Strasser (Dennis Svensson) dann kaltblütig erstochen – von einem maskierten Weihnachtsmann. Als Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) am Tatort eintreffen, sind die meisten Pakete in seinem Lieferwagen durchsucht und geleert worden. Zunächst sieht also alles nach einem Raubmord aus. Milans Kollegen selbst gehören schnell zu den Verdächtigen, hüllen sich aber in Schweigen. Als die Ermittler nicht weiterkommen, schleusen sie Kriminaltechnikerin Natalie Förster (Tinka Fürst) undercover als Mitarbeiterin ein.

Nach und nach gewinnt sie das Vertrauen von Paketbotin Jenny (stark: Paula Kober), die zur Schlüsselfigur dieses Falls werden soll. Bis klar ist, dass es die Kommissare mit dem Rachefeldzug einer traurigen, verzweifelten und vom Leben gezeichneten Frau zu tun haben, legen Paul Salisbury (Drehbuch) und Nina Wolfrum (Regie) sehr überzeugend so viele falsche Fährten, dass der Film nahezu ohne Hänger die Spannung hält.

Behrendt und Bär agieren mit der Souveränität zweier „elder ,Tatort‘-Men“, wirken aber geradezu angezündet durch die Präsenz ihrer Kollegin Natalie. Ihre Rolle – sie ist seit 2021 dabei – geht inzwischen weit über die eines Sidekick hinaus. Gut so, denn sie trägt diesen „Tatort“ fast im Alleingang.

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