Nur der Tatsache, dass – angesichts der vorrückenden Roten Armee – drei Tage vor ihrer Ankunft in Auschwitz am 2. November 1944 die Gaskammern stillgelegt werden, verdankt Eva Umlauf ihr Leben. Sie ist gerade einmal zwei Jahre alt und todkrank, als nach knapp drei Monaten, am 27. Januar 1945, das Lager befreit wird. Mit ihrer Mutter und ihrer Schwester kehrt sie in ihre slowakische Heimat zurück.
Lange spricht Eva Umlauf, die seit den Sechzigerjahren in München lebt und als Kinderärztin arbeitete, nicht über ihr Schicksal und das ihrer Familie. Das ändert sich, als sie am 27. Januar 2011 bei der Gedenkfeier zum Jahrestag der Befreiung des KZ eine Rede hält. Der Beginn einer bewussten Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Im Jahr 2016 veröffentlicht die heute 82-Jährige, Mutter von drei Söhnen, ihre Autobiografie. Der Bayerische Rundfunk widmet ihr nun ein Porträt aus der Reihe „Lebenslinien“. Es trägt den Titel „Ich habe Auschwitz“ überlebt und wird am Montag um 22 Uhr ausgestrahlt.
Als Sie als Kind die sogenannte Häftlingsnummer an sich entdeckt haben, haben Sie doch sicher Ihre Mutter gefragt, was das zu bedeuten hat.
Ja, natürlich. Wobei ich zuerst dachte, dass jeder Mensch eine Nummer hat. Bis ich festgestellt habe, dass meine jüngere Schwester, die erst nach der Befreiung des KZ geboren wurde, keine hat.
Und dann hat Ihre Mutter Ihnen das erklärt?
Ja. Sie hat auf unsere Fragen geantwortet, aber wir haben ganz wenig gefragt, weil wir gespürt haben, dass ihr das wehtut. Und das wollten wir nicht.
Sie sind 1967 aus der Slowakei nach Deutschland gekommen, sie wussten, was passiert war zwischen 1933 und 1945 – haben Sie nicht gezögert, ausgerechnet ins Land der Täter zu gehen?
Doch, aber ich bin ja sozusagen nicht freiwillig gekommen, sondern der Liebe wegen. Ich habe einen aus Polen stammenden Überlebenden des Holocaust geheiratet, der nach dem Krieg in München gelebt hat, und bin ihm dorthin gefolgt. Wobei der Plan war, nach Amerika zu gehen. Dazu ist es dann nicht gekommen, weil mein Mann früh gestorben ist. Und so bin ich in Deutschland geblieben und fühle mich hier sehr wohl.
Waren Sie mit Antisemitismus konfrontiert?
Na ja, ich habe schon Sätze gehört wie: „Ich habe dich gar nicht für eine Jüdin gehalten, du siehst gar nicht so aus!“ Wie sehen Juden aus? Und wenn mein Oberarzt sich zu mir gesetzt hat beim Mittagessen in der Mensa der Klinik und gesagt hat: „Sie arbeiten und haben ein Kind, wie in den Kibbuzim in Israel, meinen Sie, dass das richtig ist?“, dann habe ich gesagt: Herr Sowieso, Sie werden verstehen, dass ich mich jetzt woanders hinsetze.
Sie haben solche Gespräche vermieden.
Ja, aber jetzt tue ich das nicht mehr. Es hat sich viel geändert.
Wie sehen Sie Ihre jetzige Arbeit? Zeugnis ablegen? Die Erinnerung wachhalten?
Ja. Dafür müssen wir alles tun! Und wissen Sie, warum? Damit sich so etwas nicht wiederholt! Deswegen gehe ich in die Schulen, lese aus meinem Buch, spreche mit Schülerinnen und Schülern. Die jungen Leute sind unsere Zukunft.
Immer mehr Deutsche wählen die AfD…
Ja, erschreckend. Ich habe mich schon gefragt, warum man diese Partei nicht verbieten kann. Das sind Faschisten, die werden vom Verfassungsschutz beobachtet! Aber viele Experten sagen, das würde der AfD mehr Zulauf bringen. Aber schauen Sie, ich hätte nicht für möglich gehalten, wie viele gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen… Ich habe den Eindruck, dass sich etwas verändert, seit über dieses Geheimtreffen in Potsdam berichtet wurde. Wir haben ja auch die NPD, die Republikaner und die DVU überstanden.
Interview: Rudolf Ogiermann.