Am Ende fließen ein paar Tränen: Bei Diana Ross, weil sie nicht fassen kann, dass diese magische Nacht vorbei ist. Und bei Lionel Richie, weil er es tatsächlich geschafft hat, 46 Superstars für ein paar Stunden zu einer großen Musikfamilie zusammenzuschweißen, um den Welthit „We are the World“ aufzunehmen. Ein Spendensong für die Hungerhilfe in Äthiopien, der sich weit über 20 Millionen Mal 1985 verkaufte. Die großartige Netflix-Dokumentation „The Greatest Night in Pop“ schildet die abenteuerliche Entstehung des Songs und nimmt das Publikum mit in eine unglaubliche Nacht.
Check your ego at the door (Lasst euer Ego vor der Tür!) steht auf dem Zettel, den Bandleader Quincy Jones an die Eingangstür des Musikstudios gepinnt hat. Es ist der 28. Januar 1985. Der Tag, an dem die American Music Awards in Los Angeles verliehen werden. Vor allem aber ist es die perfekte Gelegenheit, die größten Künstler dieser Zeit im Anschluss an die Gala in ein Studio zu lotsen.
Ray Charles, Stevie Wonder, Paul Simon, Tina Turner, Willie Nelson, Bruce Springsteen, Billy Joel, Bob Dylan, Dionne Warwick, Cyndi Lauper, Huey Lewis, Al Jarreau, Bette Midler, Kenny Rogers und vielen anderen großartigen Kollegen bleiben nur ein paar Stunden bis zum Morgengrauen, um den Song aufzunehmen, den Michael Jackson und Lionel Richie gemeinsam geschrieben haben.
Manager und Assistenten müssen an diesem Abend draußen bleiben. „Dafür war kein Platz. Schließlich haben wir zeitgleich noch das Video für ,We are the World’ aufgenommen“, erinnert sich Lionel Richie in der Doku. Ohne den Schutz der Entourage wirken die Superstars auf einmal sehr nahbar, verletzlich, ja fast unsicher. „Mein Gott, ich hatte zittrige Knie“, erinnert sich Huey Lewis. Und Al Jarreau spült die Nervosität mit so viel Wein runter, dass er gegen 3 Uhr morgens schwer mit seiner Liedzeile zu kämpfen hat.
Warum Cyndi Lauper am Ende ihre Tonnen von Schmuck ablegen muss und für Bob Dylan das Studio kurzfristig geräumt wird, das alles erfährt man in den 96 überaus faszinierenden Minuten von „The Greatest Night in Pop“. Verstorbene Stars, an die im Abspann liebevoll erinnert wird, erwachen in diesen bisher noch nie veröffentlichten Archivaufnahmen zum Leben.
Die Netflix-Doku von Bao Nguyen ist eine Zeitreise in die Achtzigerjahre. In eine Welt, die noch keine Handys oder E-Mails kannte, in der dafür die Uhr in jener Nacht ziemlich laut tickte. Sie ist aber auch der Beleg dafür, dass Musik und Menschen, die sie mit dem Herzen machen, alle Zeiten überdauern können.