Felix Neureuther erinnert sich noch gut an die Olympischen Winterspiele in Turin 2006. „Ich war 21 und hatte nur den Sport im Kopf“, sagt der 39-Jährige. Erst heute verstehe er, was damals alles gebaut worden sei, wofür und mit welchen Konsequenzen. Für die BR-Dokumentation „Spiel mit den Alpen“ von Robert Grantner und Georg Bayerle kehrt Neureuther zu seinen Wurzeln zurück. Er bereist die alten Spielstätten in Italien und blickt sorgenvoll auf das Nachhaltigkeits-Versprechen, das die Nation für die Winterspiele 2026 gemacht hat. Eine Zusage, die sich in der 45-minütigen Doku, die das Erste heute um 20.15 Uhr zeigt, als „großer italienischer Bluff“ herausstellt.
Denn von den „nachhaltigsten und unvergesslichsten Winterspielen aller Zeiten“ (Zitat aus der OlympiaBewerbung) ist Italien meilenweit entfernt. Ressourcenschonend, zukunftsweisend, verantwortungsvoll sind nur einige der wohlklingenden Schlagworte, die vor Ort nicht umgesetzt werden. 111 Eingriffe in Natur und Infrastruktur sind bereits im Gange oder für die kommenden zwei Jahre geplant. 805 Millionen Euro sollen für den Sport, 2,8 Milliarden in die Infrastruktur investiert werden. Umweltfachleute, Architekten und Naturschützer schlagen Alarm. Zu viel Beton, zu wenige nachhaltige Ideen. Statt in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs werde in breitere Straßen investiert und damit auch kleinen Gemeinden mehr Verkehr aufgebürdet.
Aber wie viel Olympia verkraften die Alpen, ohne zur Müllhalde des Wintersports zu werden? Felix Neureuthers Reise in die Vergangenheit zu den Hotspots von Turin ist ernüchternd: „Wenn man die alte Bobanlage in Cesana anschaut oder die Skisprungschanze in Pragelato – das ist unglaublich. Alles rottet vor sich hin, es wachsen Bäume aus dem Schanzentisch.“ Verwaiste Sessellifte und leer stehende Unterkünfte. „Nach den Winterspielen hat man uns einfach vergessen“, sagt eine Umweltschützerin im Film.
Auch das berühmte Biathlon-Stadion in Antholz ist Teil des Versprechens für die nachhaltigsten Spiele. Erst 2020 wurde hier eine WM ausgetragen. Für Felix Neureuther ein Ort mit emotionaler Bedeutung: „Schließlich hat hier meine Frau Miriam in ihrer aktiven Zeit Siege eingefahren.“ Doch er traut seinen Augen kaum. Dort, wo bis vor Kurzem noch ein WM-taugliches Stadion war, steht jetzt eine Großbaustelle für 50 Millionen Euro.
Auch der Wunsch der Bürger von Cortina D’Ampezzo, keinen Bob-Kanal zu bauen und stattdessen die Wettkämpfe ins 160 Kilometer entfernte Innsbruck zu verlegen, wurde ignoriert. „Nachhaltigkeit und sportliche Großereignisse lassen sich nicht in Einklang bringen“, sagt ein Klimaforscher am Ende des Films. Eine Erkenntnis, die nicht nur dem begeisterten Wintersportler Felix Neureuther „ein Stück weit wehtut“.