Die rollende Reporterin

von Redaktion

INTERVIEW Mirjam Kottmann über ihren Weg zur Moderatorin der „BR24“-Nachrichten

Bei der britischen BBC ist es selbstverständlich, dass Moderatoren – ob männlich oder weiblich – im Rollstuhl sitzen. Wenn das dort geht, dachte sich BR-Reporterin Mirjam Kottmann (50), warum sollte es nicht auch bei uns gehen? „Das hat mich motiviert“, sagt sie. Seit der Faschingswoche ist die gebürtige Münchnerin regelmäßig als Moderatorin in den „BR24“-Nachrichten zu sehen.

Warum gab es in 75 Jahren BR-Geschichte noch nie eine Nachrichtenmoderatorin im Rollstuhl?

Warum, weiß ich nicht. Vielleicht gibt es nicht so viele Journalisten, die im Rollstuhl sitzen und gerne moderieren wollen. Oder es hat sich bislang keiner getraut. Auf jeden Fall gab es so jemanden wie mich im gesamten deutschen Fernsehen noch nicht. Insofern erfüllt es mich mit Stolz und Freude, dass ich es als Erste geschafft habe. Das ist gelebte Inklusion! Es war allerdings ein langer Weg.

Was war die größte Barriere – das Stehpult im „BR24“-Studio oder die Mentalität im Sender?

Es war noch nicht in den Köpfen drin, dass auch jemand im Rollstuhl die Nachrichten präsentieren kann. Stattdessen kamen Fragen wie: „Wie willst du sitzend hinter dem Tisch hervorschauen?“ Das ist doch kein Hexenwerk, es gibt immer technische Lösungen!

Wie sieht Ihre aus?

Ich habe mir einen Spezialrollstuhl angeschafft, dessen Sitzfläche ich ohne Hilfe nach oben fahren kann, sodass ich ungefähr auf 1,75 Meter Augenhöhe komme.

Wie konnten Sie die Zweifler überzeugen?

Ich glaube, dass ich es einfach gut kann und eine gewisse Präsenz vor der Kamera habe. Ich arbeite seit 1997 als Reporterin für den BR. Irgendwann fragte ich mich: Warum präsentierst du die Nachrichten, die du schon so viele Jahre produzierst, nicht auch mal selbst im Studio? Im vergangenen Sommer bekam ich schließlich ein Casting, was gut lief. Daraufhin sagte mein Chef, Andreas Bachmann: „So, jetzt machen wir Nägel mit Köpfen, du moderierst mal eine ganze Woche die 16-Uhr-Ausgabe von ,BR24‘.“ Das war im vorigen November. Er hat an mich geglaubt.

Hatten Sie nie ein Problem damit, sich im Rollstuhl zu zeigen?

Es war ein Prozess. Als ich beim BR anfing, war ich kerngesund. Rasende Reporterin war mein Traumberuf. Wenn irgendwo was passierte, wurde ich losgeschickt. „Mirjam, du bist live eine Bank“, wurde mir immer wieder gesagt. Ende 1998 erfuhr ich dann, dass ich an Multipler Sklerose erkrankt bin.

Aus der rasenden wurde eine rollende Reporterin?

Schöner Ausdruck, richtig. Viele Live-Geschichten bekomme ich zwar nicht mehr, aber ich bin doch noch als Tagesreporterin im Einsatz. Anfangs hatte ich Hemmungen als rollende Reporterin. Ich weiß noch, dass ich vor einer „Tagesschau“-Schalte mit dem Team überlegte, wie man mich am besten positioniert und filmt, damit der Rollstuhl ja nicht zu sehen ist. Das war, als ich von der Gerichtsverhandlung über das Zugunglück in Bad Aibling berichtet habe. Ich wollte nicht, dass man meine Einschränkung sieht. Irgendwann dachte ich: Ist doch egal.

Was hat die Debatte über Diversität und Inklusion aus Ihrer Sicht bisher gebracht?

Ich sehe im Fernsehen inzwischen sehr viele Menschen mit anderer Hautfarbe oder Migrationshintergrund. Und das ist auch gut so. Aber wo sind bitte die rund acht Millionen Menschen mit einer Einschränkung repräsentiert? Ja, gut, in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ spielt neuerdings ein Schauspieler im Rollstuhl einen Arzt im Rollstuhl. Aber das ist Fiktion. Dass ich jetzt eine Nachrichtensendung moderieren darf, ist ein Riesenschritt für mehr Sichtbarkeit und Normalität. Und was mich besonders freut: Für die allermeisten Zuschauer spielt es keine Rolle, dass ich im Rollstuhl sitze. Für sie zählt nur, dass sie gut informiert werden.

Das Gespräch führte Senta Krasser.

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