Diese Serie geht an die Nieren

von Redaktion

Katja Riemann glänzt in der furiosen ZDF-Produktion „Reset – Wie weit würdest du gehen?“

VON STEFANIE THYSSEN

Was wäre, wenn…? Wie würden wir handeln, könnten wir die Zeit zurückdrehen? Würden wir Entscheidungen anders treffen? Weichen neu stellen? Ein Leben führen, das sich von unserem echten unterscheidet? Fragen, die so alt sind wie die Menschheit selbst, aber doch immer wieder faszinieren. Das ZDF hat aus diesem Stoff eine furiose Serie gemacht. Keine leichte Kost, aber eine Geschichte, die einen emotional packt, fesselt, herausfordert und – bestenfalls – bereichert. Im Mittelpunkt eine grandiose Katja Riemann, der man alles abnimmt, was sie über sechs Folgen hinweg in „Reset – Wie weit willst du gehen?“ spielt.

Der Suizid ihrer 15-jährigen Tochter Luna (auch großartig: Hannah Schiller) ist der dramatische Tiefpunkt im Leben von Flo Bohringer (Riemann). Bis dahin führte sie ein Leben als erfolgreiche Moderatorin einer Fernsehshow, war selbstbewusst, eine kämpferische Feministin. Von ihrem Mann Jens (Theaterstar Thomas Loibl) ist sie geschieden, nach der Trennung blieb er aber im selben Haus, bezog die Wohnung eine Etage höher, sodass die beiden Kinder, Luna und ihr großer Bruder Carlo (Paul Ahrens), sich nicht für ein Elternteil entscheiden mussten.

Während Carlo ein unkomplizierter Junge ist – gut in der Schule, erfolgreich im Sport, sozial integriert und entspannt durch die Pubertät gekommen („Haben wir nicht einen tollen Sohn?“) –, liegt die Sache bei Luna anders. Schon als kleines Mädchen hatte sie nachts Panikattacken, traute sich kaum in die Schule und ist bis heute geplagt von Komplexen. Zuletzt führte sie ein Teenagerleben, das ihren Eltern teils verborgen blieb. Mit den Freundinnen hatte sie sich überworfen, ihre Leidenschaft, das Turnen, heimlich aufgegeben und sich dafür in eine toxische Beziehung mit einem etwas älteren Jungen geflüchtet. Als sie eines Tages heimkommt und offenbar geschlagen wurde, fällt ihr Lügengerüst zusammen. Es kommt zur Eskalation. Das traurige Ende: Luna bringt sich um.

Am Schluss der ersten Folge dann der Clou: Über die Zeitreiseagentur „Plan B“ bekommt Flo die Möglichkeit, in die Vergangenheit zu reisen, um Lunas Tod zu verhindern. In ihrer Situation, zwischen endloser Trauer, Ohnmacht, Selbstzweifeln, Schuldgefühlen, Wut und der quälenden Frage nach dem Warum, macht sie mit – und steht kurze Zeit später in ihrer Küche und wird von ihrer pubertierenden Tochter angemault – drei Wochen vor Lunas Tod. Flo lebt fortan ihr Leben noch mal neu – aber ist das besser?

Wie die Hauptfigur muss man sich natürlich auch als Zuschauer auf dieses Experiment einlassen. Es funktioniert, weil sich die Regisseurin Isa Prahl (Folgen 1 – 3) und ihr Kollege Eoin Moore (Folgen 4 – 6) zum einen auf die allesamt herausragenden Darsteller verlassen können. Zum anderen auf die Kraft der erzählten Geschichten. Die Vorlage für die Serie stammt von den kanadischen Drehbuchautoren Jean-François Asselin und Jacques Drolet. Für die deutsche Adaption zeichnen Ingrid Kaltenegger und Mika Kallwass verantwortlich. Und: Die Inszenierung kommt – wie gut! – ohne Science-Fiction-Elemente aus. Zeitreise ja, aber kein großer Hokuspokus, der alles lächerlich gemacht hätte.

„Reset – Wie weit willst du gehen?“ ist eine Serie, die an die Nieren geht – übrigens buchstäblich. „Ich kann Ihnen sagen, dass ungefähr zwei Wochen vor Drehende meine Nieren ausflippten und schmerzten, dass ich mich kaum bewegen konnte“, erzählt Katja Riemann in einem ZDF-Gespräch. Man glaubt es ihr. Die Geschichte lässt einen auch als Zuschauer nicht kalt. Man leidet mit dieser Flo Bohringer mit, anhand deren Biografie Themen verhandelt werden, die viele Frauen heute beschäftigen. Kann ich eine gute Mutter sein und trotzdem eigene Bedürfnisse ausleben (Job, Beziehung)? Inwieweit bin ich dafür verantwortlich, dass mein Kind glücklich ist? Muss ich das sein? Kann ich das überhaupt? Und was, wenn auch noch die Mutter zum Pflegefall wird? Reset gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen. Und die wirken nach.

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