„Es braucht auch starke konservative Stimmen“

von Redaktion

INTERVIEW Sigmund Gottlieb über den Rundfunkbeitrag und die Ausgewogenheit von ARD und ZDF

Er prägte den Bayerischen Rundfunk wie kein Zweiter: Sigmund Gottlieb war von 1995 bis 2017 Chefredakteur des Senders und die konservative Stimme innerhalb der ARD. Zuvor, in den Achtzigern, war er beim ZDF beschäftigt, erst als Korrespondent im Landesstudio München, ab 1986 im Hauptstadtstudio (Bonn!) und ab 1988 als stellvertretender Redaktionsleiter und Moderator des „heute-journals“. Heute ist er als Publizist, Buchautor und Berater tätig. Bei einem Redaktionsbesuch in unserem Haus – hier hatte der 72-Jährige in den Siebzigern volontiert – spricht Gottlieb über seine Sicht auf die Medienlandschaft von heute, über die Frage nach der Ausgewogenheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Nach dem Willen der Experten-Kommission soll der Rundfunkbeitrag um 58 Cent auf monatlich 18,94 Euro erhöht werden. Einige Ministerpräsidenten sagen: Das ist viel zu viel. Die Sender finden das Gegenteil: viel zu wenig. Welche Seite hat Ihre Sympathie?

Ich halte diesen Betrag für eine akzeptable Erhöhung. Er liegt deutlich unter dem, was die Sender an Bedarf angemeldet hatten, und ist ein Zeichen dafür, dass bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten gespart und reformiert wird. Aber knapp 19 Euro pro Monat wären weiß Gott nicht zu viel. Dafür kriegen Sie in München kaum einen Schweinsbraten mit einer Halben Bier.

Trotzdem glauben Ministerpräsidenten, dass es populär ist und sie Wahlen gewinnen können, wenn sie gegen die Erhöhung eintreten. Woher kommt dieser Unmut vieler Bürger über die Beiträge?

Ich weiß nicht, ob sich der Unmut gegen die Beiträge richtet oder gegen das öffentlich-rechtliche System – oder gegen die Medien ganz allgemein. Er ist in einem Teil der Bevölkerung jedenfalls vorhanden. In einem weitaus größeren Teil jedoch nicht. Es gibt also nach wie vor einen großen Vertrauensvorschuss in die Medien allgemein, auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber wenn Sie mich nach dem Unmut fragen, dann sehe ich einen Wendepunkt, wo dieser an Fahrt gewonnen hat. Und das war das Jahr 2015.

Die Flüchtlingskrise.

Ja. Da habe ich festgestellt, wie in relativ kurzer Zeit viele Menschen in Deutschland der Ansicht waren, sie würden bei ARD und ZDF nicht mehr die ganze Sicht der Dinge dargestellt bekommen.

Haben sich die Bürger das eingebildet oder war es so?

Diese wachsende Unzufriedenheit habe ich als Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, der damals für viele Sendungen verantwortlich war, unmittelbar wahrgenommen. Es war eine Mischung aus beidem. Ich denke schon, dass wir uns in den ersten Wochen sehr stark von der Wucht der Bilder, von der Emotionalität, von den tausenden Flüchtlings-Schicksalen haben beeindrucken und beeinflussen lassen. Aber die Gesichter der Flucht müssen natürlich auf der anderen Seite damit einhergehen, dass man die dadurch entstehenden Probleme der Menschen in Deutschland behandelt, die Schwierigkeiten, die mit dieser Krise einhergehen. Das haben wir auch getan – aber doch recht spät. In dieser Zeitspanne ist Vertrauen verloren gegangen.

Wird das in der ARD inzwischen kritisch gesehen?

Ja, das wird kritisch gesehen. Das Bewusstsein ist da.

Und wie gewinnt man Vertrauen zurück?

Mit gutem Journalismus, der alle Seiten darstellt. Der die Themen nicht nur emotional und gesinnungsethisch betrachtet, sondern auch verantwortungsethisch. Da ist Luft nach oben und da braucht es natürlich auch das entsprechende Personal.

Das Gespräch führten Georg Anastasiadis, Stefanie Thyssen und Rudolf Ogiermann.

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