Schwer bewaffnet: Anna Maria Mühe als „Totenfrau“. Es sei spannend gewesen, nicht nur die sympathischen Seiten einer Mutter zu zeigen, sagt die Schauspielerin über ihre Rolle. © Stephan Burchardt/Netflix
Sie regieren als Diktatorinnen, eliminieren als Drogenbaronin die Gegner reihenweise oder machen als Auftragskillerinnen Jagd auf ihre Opfer – immer mehr böse Frauen erobern den Bildschirm. Vor allem Streamingdienste machen es möglich. Während im Fernsehen früher fast nur Männer als Mörder agieren durften, machen sich in modernen Serien auch Frauen die Hände schmutzig und sorgen so gewissermaßen für Gleichberechtigung. Die Zeiten, in denen Protagonistinnen in Serien die Fürsorge übernehmen mussten und nur vorübergehend sündigten, während sich ihre männlichen Kollegen als Bösewichte austoben durften, sind unwiderruflich vorbei. Ausschließlich toxische Männlichkeit war gestern, endlich dürfen sich auch Frauen von ihrer schlechten Seite zeigen – böse Mädchen kommen eben überall hin und beim Publikum gut an.
Dabei zeigen sich nicht nur Hollywoodstars wie Kate Winslet, Sofia Vergara oder Julianne Moore in aktuellen Serien wie „The Regime“ (Sky), „Griselda“ (Netflix) oder „Mary & George“ (Sky Atlantic) von ihrer fiesen Seite, auch deutsche Schauspielerinnen haben kein Problem damit, in Serien über Leichen zu gehen. „Es hat mir großen Spaß gemacht“, sagt etwa Martina Gedeck über ihre Rolle in der dystopischen Sky-Serie „Helgoland 513“, in der sie die Anführerin einer Gruppe von Überlebenden spielt, die eiskalt über Leben und Tod entscheidet. Und für Anna Maria Mühe, die in der Netflix-Serie „Totenfrau“ eine Bestatterin spielt, die sich auf einen blutigen Rachefeldzug begibt, war das Spannende, „nicht nur die sympathischen Seiten einer Mutter zu zeigen, sondern auch die dunklen Seiten einer Frau, die wirklich wissen will, wer für den Tod ihres Mannes verantwortlich ist“. Auch Désirée Nosbusch als berechnende Bankerin in der von Arte und dem ZDF produzierten Serie „Bad Banks“ und Jella Haase in der Rolle einer gnadenlosen Auftragskillerin in „Kleo“ (Netflix) ist anzumerken, wieviel Spaß sie daran haben, dem Zuschauer mal eine andere Facette als die übliche zu zeigen.
Eine Profikillerin ist auch eine der beiden Heldinnen der Serie „Killing Eve“ (BBC America), in der Jodie Corner eine Auftragsmörderin mit zynischem Witz verkörpert und Sandra Oh ihre Gegenspielerin abgibt, die ihre eigenen Abgründe hat. In der von 2013 bis 2018 laufenden und vielfach preisgekrönten Netflix-Serie „House of Cards“ ließ sich der Wandel im Rollenverständnis der vergangenen Jahre sogar exemplarisch verfolgen. Die von Robin Wright hinreißend gespielte Claire Underwood ist in den ersten Staffeln der Politsaga lediglich Mitwisserin der Untaten ihres von Kevin Spacey gespielten Gatten Francis Underwood, der nicht vor Mord zurückschreckt, um ins Amt des amerikanischen Präsidenten zu kommen. Als Hauptdarsteller Spacey aus der Serie ausschied und seine Figur den Serientod starb, zeigte Claire Underwood als frisch gebackene Präsidentin in der sechsten und letzten Staffel sämtlichen männlichen Widersachern, wie Emanzipation im Weißen Haus funktioniert.
Zeitgleich zeigten auch zwei Protagonistinnen in der weltweit gefeierten HBO-Fantasysaga „Game of Thrones“, dass Frauen keine Berührungsängste mehr mit Macht haben und dafür auch töten. Lena Headey überzeugte als machtbewusste Adelige Cersei Lannister, und die „Drachenkönigin“ Daenerys Targaryen (Emilia Clarke) ließ am Ende gar Feuer vom Himmel regnen und verwüstete eine ganze Stadt.
Von derlei Exzessen war die Urmutter aller weiblichen Serienschurkinnen noch weit entfernt. Joan Collins spielte in den Achtzigerjahren in der Familiensaga „Der Denver Clan“ die teuflische Alexis. Eine derart fiese Serienheldin war damals noch etwas Besonderes. Joan Collins machte das Beste draus und brachte es als „Biest“ zu Weltruhm. Im vergangenen Jahr wurde die britische Schauspielerin, die bis heute gerne auch privat ihren bissigen Humor aufblitzen lässt, 90 Jahre alt. MARTIN WEBER