Unsere wunderbaren Jahre

von Redaktion

Elke Heidenreichs neues, ehrliches und sehr lesenswertes Buch über das „Altern“

Diese Frau macht Mut: Wenn man die Worte der inzwischen 81-jährigen Elke Heidenreich liest, bekommt man richtig Lust darauf, alt zu werden. © Henning Kaiser

So, und dieses Buch lesen jetzt bitteschön alle. Die Jungen, die meinen, die Welt gehe unter, weil eine Prüfung versemmelt oder das Herz gebrochen wurde. Die Mittelalten, die mit der 40, der 50 hadern, Angst haben vor den Jüngeren, die nachrücken – und dem Moment, in dem man zum alten Eisen gezählt wird. Und die im hohen Alter sollen es lesen, die mit 70, 80 noch aussehen möchten, als hätte das Leben keine Spuren hinterlassen. Elke Heidenreich bringt sie alle in ihrem Buch „Altern“ auf ihre klipp und klare Art dazu, die Hysterie einzustellen. Und auf den Boden zurückzukommen. Die Essenz ihres mutmachenden Textes: Die einzige Alternative zum Altern ist, jung zu sterben. Also jetzt mal zusammenreißen und sich vergegenwärtigen, wie schön es ist, ein weiteres Jahr den Frühling schnuppern zu dürfen, die Sommerhitze zu spüren, durch den Schnee zu stapfen. „Mein Grundgefühl ist nicht: Verlust, mein Grundgefühl ist: Dankbarkeit.“

Klar weiß auch sie, dass Altern nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Spart Einsamkeit, Krankheit, wegsterbende Freunde nicht aus. Kennt die 81-Jährige ja alles selbst. Doch sie gibt Tipps: sozial engagieren, rausgehen zu kostenlosen gesellschaftlichen Angeboten. „Wichtig ist: nie bitter zu werden über Fehler, Verpasstes, falsche Entscheidungen. Seltsame Entwicklungen. Ändern kann man es nicht mehr. Nur akzeptieren.“ Vor allem: lebendig bleiben. „Mein Wille lässt mich beben – und leben! Das ist doch eine gute Einstellung.“

Viele Absätze würde man gern in der ganzen Stadt plakatieren. Wie diesen: „Klar, ein paar Falten sind da. Die habe ich mir erworben in langen Nächten mit Freunden, bei diesem ganzen ungesunden, wunderbaren Leben mit so viel Lachen und Lieben. … Ich finde die alten, ja: die vom Leben verwüsteten Gesichter von Jeanne Moreau oder Louise Bourgeois wunderschön, sie erzählen von prall gefülltem Leben sehr viel mehr als die Gesichter von Frauen mit prall gefüllten Botoxwangen.“

Sie selbst will ihr Alter nicht verleugnen. Und siehe da: Das Leben dankt es ihr mit Energie. Ihr Partner ist 27 Jahre jünger, was zu erzählen ihr eine diebische Freude ist. Und doch hadert auch sie. Mit den neuen Formen der Kommunikation. Dabei hat sie sich geschworen, nie Sätze anzufangen mit „Früher….“ „Früher war nicht alles besser.“ Einerseits. Andererseits: „Aber früher saßen wir nicht allein mit Handy in unserm Zimmer, wir standen an den Straßenecken und rauchten und flirteten und redeten miteinander.“ Absatz. „Vergessen Sie das wieder. Ich will nicht ,Früher…‘ sagen. Aber … Oder?“

Aber. Das ist Heidenreich: klare Prinzipien, doch immer ein Türchen offenhalten. Beleg für ihre Entdeckerfreude. Auch daran, zu erspüren, wie sich das so anfühlt, alt zu werden. „Ich altere mit Neugier.“ Und dann verfasst sie kurzerhand ihren Nachruf. Und stellt sich vor, wie das wäre, wenn gelingt, was sie verfügt hat: dass die Öffentlichkeit von ihrem Tod erst erfährt, wenn sie schon beerdigt ist. Und wie dann eine Buchhändlerin bei ihrer guten Freundin anruft wegen einer Lesung, „und dann sagt meine Freundin: ,Ach, die liest nicht mehr, die ist doch tot!‘“

Galgenhumor? Von wegen. Genau die richtige Art, mit der Tatsache, dass wir doch sowieso schon alle halb am Galgen hängen, umzugehen. Sie erinnert uns daran, dass das Leben keine Generalprobe ist für irgendwas, das noch kommt. „Es IST schon die Sache selbst. Mach was draus.“ KATJA KRAFT

Elke Heidenreich:

„Altern“. Hanser Berlin, 114 Seiten; 20 Euro.

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