Am charmantesten sind natürlich die frühen Konzertaufnahmen. Taylor Swift 2006 mit 17 Jahren auf einer Mini-Bühne in Nashville, im Vorprogramm des Country-Sängers Jack Ingram. Dauerwelle, Blümchenkleid, Westerngitarre, die schon sehr selbstbewusste Ansage: „Wollt Ihr ein bisschen Taylor Swift hören? Dann seid Ihr hier richtig.“ Das dann folgende Lied „Our Song“ spielt sie heute noch überall auf dem Globus. Nur stehen heute statt 200 bis zu 200 000 Leute im Publikum und sie ist der größte Popstar unserer Zeit. Am 27. und 28. Juli wird sie im Münchner Olympiastadion auftreten. Der Großteil der Zuschauer wird sie dabei nur auf der Großleinwand sehen können, dafür sehr viel Geld ausgegeben haben – und sich hier trotzdem richtig fühlen.
Pünktlich zur derzeitigen Eras-Tour läuft auf ZDFinfo die Dokumentation „The True Story of Taylor Swift“ von Hannah Summer. Ein vollmundiger Titel, der allerdings mehr verspricht, als die Dreiviertelstunde hält. Denn eine Erklärung für den irrwitzigen Erfolg der Sängerin und Geschäftsfrau hat sie nicht. Kein Wunder, steuert die Halbgöttin der Glitzerwelt die Deutungshoheit über ihre Geschichte doch längst selbst in den Sozialen Medien. Was bleibt, sind altbekanntes Filmmaterial und die allgemein zugänglichen Fakten. Immerhin bekommen die Zuschauer die beeindruckende, wenn auch etwas dröge heruntererzählte Chronologie einer nicht zu fassenden Karriere serviert.
Taylor Alison Swift wird am 13. Dezember 1989 geboren, groß wird sie auf einer Christbaum-Farm in Pennsylvania – leuchtende Kinderaugen sind also seit jeher das Familiengeschäft. Oma Marjorie Finlay war Opernsängerin und hat womöglich ihr Talent vererbt. Eine behütete Kindheit in der gehobenen Mittelschicht, mit neun Jahren Gesangs- und Schauspielunterricht. „Sie wusste schon mit vier, dass sie Musikerin werden wollte“, ist sich Ashley Pearson sicher, die als „ehemalige Showbiz-Reporterin“ eingeführt wird.
Im Alter von elf Jahren nimmt Taylor in Nashville ihr erstes Demo auf. „Sie hat an viele Türen geklopft“, weiß Jeff Weiss, „Musikjournalist und Blogger“. 2006 erscheint das erste Album mit dem beachtlichen Schmachtfetzen „Tim McGraw“ – benannt nach einem Country-Musiker. Das habe Swift bei Radiostationen die Tür geöffnet, sagt Randy Lewis von der „Los Angeles Times“. „Sehr clever.“ Das ist neu im Country: Musik von einer Teenagerin für Teenagerinnen. Es folgen erste Auszeichnungen und 2008 eine Nominierung als „Best new Artist“ bei den Grammys – Swift verliert gegen Amy Winehouse. Viele Niederlagen wird es nicht mehr geben.
Arbeitet die Dokumentation bis dahin noch mit nachgedrehten Szenen und Landschaftsaufnahmen, kommt man von nun an aus dem Blitzlichtgewitter nicht mehr raus. Die Rekorde werden runtergerattert, und natürlich fehlen auch die „Aufreger“ nicht: der Eklat 2009 bei den MTV-Awards, als Rap-Rüpel Kanye West Taylor den Preis für das beste Video madig macht (er stürmt auf die Bühne und ruft, Beyoncé verdiene die Auszeichnung – was im Nachgang sogar Präsident Obama zu der Anmerkung veranlasst, West sei ein Depp). Oder Swifts Hinwendung zum Glitzer-Pop mit dem Album „Red“. Und der Lizenzstreit mit ihrer vormaligen Plattenfirma, der letztlich dazu führt, dass sie ihre früheren Alben neu einspielt, um die Songs weiterhin verwenden zu dürfen.
Mittlerweile ist sie Milliardärin – am Talent allein kann’s nicht liegen. Doch vieles bleibt rätselhaft. Etwa Swifts Obsession, sich in so vielen Songs als Opfer darzustellen, das auf Vergeltung sinnt. („Sie hat als Jugendliche Mobbing-Erfahrung gemacht“, sagt ein Experte. Aber: Wer nicht?) Oder der überstrapazierte Kniff, ihre Verflossenen durch ihre Lieder paradieren zu lassen. „Meine Platten sind wie musikalische Tagebucheinträge“, sagt sie an einer Stelle. Dieses immense Identifikationspotenzial mag ein Grund für ihren Erfolg sein, genauso wie ihre Bekenntnisse zum Leben-und-leben-Lassen – etwa im Video zum Lied „You need to calm down“ („Beruhigt euch mal“), in dem sie als Teil eines LGBTQ*-Haufens eine Horde erboster Moralapostel lässig abtropfen lässt. Mittlerweile scheint sie sogar die Einzige zu sein, die Donald Trump noch ärgern kann.
Denn die Swifties, ihre eingeschworene Fangemeinde, sind eine Macht, die sie hegt und pflegt. Je nach Gefühlslage versorgt sie die Gefolgschaft mit Geheimbotschaften, den sogenannten „Easter Eggs“ („Ostereiern“). Das Wort „swift“ bedeutet auf Deutsch nicht umsonst „auf Zack“. Auf diese wohl wichtigste Fähigkeit des Superstars – die Klaviatur der Sozialen Medien zu spielen – geht die Dokumentation so gut wie gar nicht ein. Vielleicht weil den Machern insgeheim bewusst ist, dass zwei, drei gewiefte Swifties die „True Story of Taylor“ weitaus besser hätten erzählen können.
JOHANNES LÖHR
„The True Storyof Taylor Swift“
Montag, 15. Juli, 9.45 Uhr, auf ZDFinfo; ab Sonntag, 7. Juli, drei Jahre lang in der ZDF-Mediathek.