Björn, Anni-Frid, Agnetha und Benny 2022 bei der Premiere ihrer Konzertshow „Abba Voyage“ in London. © EPA
Den Schweden ist so einiges zu verdanken: Der Ikea-Inbusschlüssel etwa, der bis heute ganze Studentenbuden zusammenhält, oder unzählige Vorlesestunden mit Astrid-Lindgren-Geschichten, Zimtschnecken und natürlich Abba. Vor 50 Jahren trat das Quartett an, die Welt zu erobern. Mit „Waterloo“ schlugen Benny, Björn, Agnetha und Anni-Frid beim Eurovision Song Contest im britischen Brighton 1974 die Schlacht ihres Lebens. Der Startschuss für ihren Siegeszug an die musikalische Weltspitze. Die Arte-Dokumentation „Abba Silver, Abba Gold“ feiert heute um 22.20 Uhr gleich zwei Jubiläen der schwedischen Band: den Sieg beim ESC vor einem halben Jahrhundert und das 25-jährige Bestehen ihres Bühnenmusicals „Mamma Mia“.
„Vor 1974 verschickten wir Demo-Kassetten, die sofort im Müll landeten“, erinnert sich Björn Ulvaeus. „Kein Mensch interessierte sich damals für uns. In der Musikbranche war Schweden skandinavisches Niemandsland.“ Erst 1973 fiel in Luxemburg die Sprachenpflicht für den Eurovision Song Contest, Abba sang „Waterloo“ auf Englisch und holte die Trophäe. Ein hübscher Ohrwurm, lustige Kostüme, ein klassisches One-Hit-Wonder – so wie die meisten ESC-Hits – vermuteten die Medien damals. Was für ein Irrtum.
Produzent und Regisseur Chris Hunt kennt die Band seit ihren Anfängen und gewährt in seiner wirklich sehenswerten Doku, die auch in der Arte-Mediathek verfügbar ist, einen Blick hinter die Kulissen. Der knapp einstündige Film spannt einen Bogen von den Anfängen der befreundeten Paare über die schmerzliche Trennung bis hin zur Wiedervereinigung für ihre neue Konzertshow „Abba Voyage“, in der sie als Avatare auf der Bühne stehen. Dass die vier Künstler heute lebende Legenden sind, ist nicht das Resultat einer glücklichen Fügung, sondern das Ergebnis harter Arbeit. „Wir hatten starke Frauen, die stundenlang im Studio gearbeitet haben“, sagt Benny. „Und wir Männer, die uns durch ihre Leidenschaft immer dazu inspiriert haben, das Beste zu geben“, ergänzt Agnetha.
Doch der internationale Erfolg sicherte den Musikern nicht die Liebe ihrer Landsleute. Den Schweden war der Glam-Rock suspekt, die ausgefallenen Kostüme zu schrill. Radiostationen weigerten sich, Abba-Hits zu spielen. „Für uns war das gar nicht so schlecht. Die Leute, die uns hören wollten, mussten unsere Platten kaufen“, lacht Björn. „Mamma Mia“ war erst in Australien ein Hit, bevor man im Rest der Welt darauf aufmerksam wurde. Verbiegen ließ sich das Quartett nie. „Wir zelebrierten den Look der Siebzigerjahre – je extravaganter, desto besser“, erinnert sich Anni-Frid. Privat liebten es die beiden Paare wesentlich schlichter: Auf der schwedischen Schäreninsel Viggsö kauften sie zwei einfache Holzhäuser und komponierten rund um die Uhr. Kein Jetset-Leben in London oder New York, stattdessen nichts als Stille und Natur. „Das war für uns die perfekte Inspiration. Dadurch hatten wir nie das Gefühl, uns irgendwelchen Trends unterwerfen zu müssen.“ „Fernando“ und „Dancing Queen“ sind nur zwei von zahlreichen Songs, die in der Abgeschiedenheit entstanden.
Weil sie nicht gern tourten, steckten sie mehr Arbeit und Liebe in die Produktion von Musikvideos. „Abba waren die Ersten, die sich einen Profi für ihre Clips holten“, sagt Oscar-Regisseur Lasse Hallström in der Doku. Er drehte mit der Band und durfte sich austoben. „Für mich war das wie eine Filmschule.“
Als ihre Ehen auseinandergingen, sprachen die beiden Paare von „Trennungen in aller Freundschaft“. „Das war natürlich Quatsch und nur für die Fassade“, stellt Agnetha in der Doku klar. „Da war sehr viel Schmerz und Verletzung.“ Dennoch gelang es der Band, die Gefühle musikalisch zu verarbeiten. „Es war wie eine innere Reinigung, dass ich ,The Winner takes it all‘ schreiben und Agnetha es singen konnte“, sagt Björn. Musikalisch gingen die Freunde nach der Scheidung getrennte Wege. Beide Frauen wollten erst mal „gar keine Abba-Lieder mehr hören“. Die Männer fanden wieder zusammen, um an neuen Ideen zu arbeiten.
Mit 27 Abba-Songs und einer neuen Story entstand 1999 das Musical „Mamma Mia“, das bislang 65 Millionen Zuschauer hatte. Abba hat damit mehr Geld verdient als mit der Band selbst. Vom 6. bis 24. November 2024 ist das drittgrößte Musical aller Zeiten auch wieder im Deutschen Theater in München zu erleben. Karten sind über muenchenticket.de erhältlich.
ASTRID KISTNER