„Es ist Mode, dagegen zu sein“

von Redaktion

ARD-„Tagesthemen“-Frau Jessy Wellmer über ihre Doku zur Lage der Nation

„Es gibt häufig erst mal eine Abwehrhaltung“: Für ihre neue ARD-Dokumentation reiste Jessy Wellmer durch Deutschland. © NDR

Seit zehn Monaten ist sie „Mrs Tagesthemen“, doch Jessy Wellmer präsentiert nicht nur die aktuellen News. Vor zwei Jahren zeigte das Erste ihre Doku „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“, in diesem Frühjahr erschien ihr Buch „Die neue Entfremdung – Warum Ost- und Westdeutschland auseinanderdriften“. Für ihren neuen Film „Machen wir unsere Demokratie kaputt?“,zu sehen heute um 20.15 Uhr im Ersten,ist Wellmer quer durchs Land gereist, um sich kurz vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ein Bild von der Lage der Nation zu machen.

„Machen wir unsere Demokratie kaputt?“, lautet der Titel Ihrer Sendung – wie besorgt sind Sie tatsächlich?

Ich war beim Mauerfall neun Jahre alt. Das heißt, ich lebe seit meiner Jugend im wiedervereinigten, demokratischen Deutschland, und ich weiß die damit verbundene Freiheit sehr zu schätzen. Ich habe eine Familie, einen guten Job, führe ein schönes Leben. Aber in Ländern um uns herum wie etwa Ungarn oder der Türkei, aber auch im eigenen Land gibt es die Tendenz, einen Teil dieser Freiheit – zum Beispiel die Unabhängigkeit der Gerichte und die Freiheit der Presse – wieder abzubauen. Und ich erlebe auch bei uns, dass Menschen diese demokratischen Grundprinzipien infrage stellen. Und deshalb mache ich mir große Sorgen.

Aus welchen Richtungen droht Gefahr?

Es ist im Moment fast eine Mode, nicht mehr einverstanden zu sein mit dem, was durch demokratische Prozesse beschlossen wird, sondern einfach dagegen zu sein, den Kompromiss nicht anzuerkennen und stattdessen für radikale Lösungen einzutreten. Häufig heißt es: „Das, was die da oben beschließen, das mache ich nicht mehr mit!“ Das passiert überall, links genauso wie rechts, und es ist mir auch bei den Dreharbeiten für die Reportage begegnet.

Sie gelten ja als die Stimme des Ostens in der ARD…

Ich bin natürlich bei Weitem nicht die Einzige. Es gibt ja zum Beispiel allein mit Susanne Daubner und Jens Riewa schon zwei Ostdeutsche, mit denen ich in einem Studio stehe. Aber es ist auch meine Motivation, die ostdeutsche Perspektive zu zeigen. Wenn ich Interviews mit Politikern vorbereite, frage ich mich ganz oft: Wie denken meine Eltern oder ihre Freunde über dieses Thema? Ich habe mehrere Reportagen über die Gefühlslage in Ostdeutschland gemacht. Aber ich bin jetzt nicht die Ostbeauftragte. Für mich als Nachrichtenfrau und Journalistin ist natürlich der Blickwinkel von Kölnern oder Hamburgern ebenso wichtig.

Sie waren auch beim Wahlkampf in Sachsen und Thüringen. Wie wurden Sie als Repräsentantin des öffentlich-rechtlichen Fernsehens empfangen?

Früher, als ich bei der „Sportschau“ war, wurde ich als das Fußballmädchen wahrgenommen – da gab’s meistens einen freundlichen Empfang: „Hallo, Jessy!“ Die Skepsis ist jetzt größer, es gibt häufig erst mal eine Abwehrhaltung gegen die vermeintliche Lügenpresse. Aber wenn die Leute merken, dass ich ihnen zuhören will, öffnen sich die meisten doch. Ich habe bei den wenigsten erlebt, dass sie vollkommen radikalisiert sind.

Fehlendes Vertrauen in die Medien gilt als einer der Gründe für die Krise der Demokratie. Muss sich etwas ändern?

Es gibt ja die verbreitete Annahme, dass Medien und die Politik einen moralischen Kompass vorgeben, und jeder, der davon abweichen will, steht als Buhmann da. Wenn ich mir aber zum Beispiel die „Tagesthemen“ ansehe, muss ich sagen: Wir wissen um unseren Auftrag und geben uns wirklich sehr viel Mühe, so viele unterschiedliche Haltungen wie möglich abzubilden. Aber das führt natürlich auch dazu, dass Meinungen geäußert werden, die nicht allen passen. Auch ich selbst bin nicht mit jedem Kommentar einverstanden, der in der Sendung gesprochen wird. Und das ist ja auch gut so.

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