Vitali (li.) und Wladimir Klitschko haben ihr Leben als Sportstars gegen den Kampf für die Freiheit getauscht. © SKY
Ja, sie trainieren noch. Nicht mehr im Boxring, den hat Vitali 2013 verlassen und Wladimir vier Jahre später. Aber die Klitschkos achten noch auf ihre Form, sie verrichten Körperarbeit im Gym – und das wohl auch aus der Gewohnheit eines Lebens, das sich für sie über den Sport definiert hat. „Man kennt die Namen von Präsidenten nicht immer – aber die Namen der Schwergewichts-Champions sind auf der ganzen Welt ein Begriff“, sagt Vitali. Sein jüngerer Bruder und er haben sich die Box-Titel geteilt, gemeinsam wurden sie zum Markenbegriff: die Klitschkos. Ihr erster Promoter in Deutschland, Klaus-Peter Kohl, nannte sie „die Klitsch-k.o.-s“. Sie könnten mit den verdienten Millionen ihren Ruhm genießen, der Plan war einmal, eine Rolle als Fitness-Celebrities zu spielen – aber die Lebensrealität ist: Die Klitschkos, mittlerweile 53 und 48, stecken im Krieg, sie sind nun politische Akteure.
„Klitschko – Der härteste Kampf“ heißt der Film, den Kevin Macdonald gedreht hat (zu sehen bei WOW und Sky ab dem 13. September) und der zeigt, wie sich im ersten Leben das zweite vorgezeichnet hat und im zweiten das erste nachwirkt. Es geht mehr um Vitali, weil seine Funktion als Bürgermeister von Kiew seit 2014 eine offizielle ist, während Wladimir sich auf das unverbindliche Wirken als „Aktivist“, wie er selbst sich bezeichnet, verlegt und als talentierter Netzwerker international für die ukrainischen Belange wirkt. Das Plakat, das für die Filmproduktion wirbt, zeigt die Brüder in militärischer Kampfmontur in einem Boxring, umgeben von Trümmern nach einem Bombenangriff.
Kevin Macdonald ist ein Regie-Schwergewicht. Man kennt seine beiden großen Spielfilme, die auf wahren Geschichten basieren: In „Der letzte König von Schottland“ geht es um die Schreckensherrschaft von Idi Amin in Uganda, in „Der Mauretanier“ um das Schicksal eines ohne klare Beweislage im US-Knast Guantanamo festgehaltenen Mannes, den letztlich eine idealistische amerikanische Anwaltskanzlei freipaukt. Einen Oscar bekam er für „Ein Tag im September“ von 1999 über das Olympia-Attentat in München 1972. Macdonald interessieren also das wahre Leben und seine Bruchlinien. Die Klitschkos haben sich von seinem Kameramann Edgare Dubrovsky begleiten lassen und privat gefilmtes Material zur Verfügung gestellt
Vitali, der stets darauf bestanden hatte, dass man seinen Vornamen mit V schreibt, weil er Vitalität verkörpern wolle, ist müde geworden. Das konstatieren auch seine Mitarbeiterinnen im Bürgermeister-Büro. Sein Alltag besteht darin, die Leidenden in Kiew zu trösten, ihnen Mut zuzusprechen – ein permanenter Ausnahmezustand. „Politik nimmt einen vollständig ein“, sagt er desillusioniert. Er hat die Mutter Nadeschda, Bruder Wladimir – doch der Rest der Familie ist weit weg: Die beiden Söhne leben bei seiner Ex-Frau Natalia in Hamburg. Ja, Ex-Frau. Natalia Klitschko spricht in diesem Film: „Ich habe gespürt, dass ich ihn verliere, als er sich der Politik zuwandte.“ Und: „Wir waren bereits im Prozess der Scheidung, als der Krieg begann.“ Ein glamouröses Leben als Sportstar im Scheinwerferlicht hat sich gewandelt in einen Existenzkampf in den Mühlen des Kriegs.
Seit 2015 ist Vitali Klitschko im Amt. 2014 auf dem Maidan hatte er die Opposition gegen den damaligen Präsidenten Janukowitsch angeführt. Ernst wurde der Ex-Boxer lange nicht genommen. Dazu trug auch der heutige Staatschef Wolodymyr Selenskyj bei, der in seinem Vorleben als TV-Comedian herzhaft über die gelegentlichen Sprachunfälle Klitschkos spottete. Heute sitzen Klitschko und Selenskyj in Kiew, doch sie haben nichts miteinander zu schaffen, ihre Beziehung ist ein Nicht-Verhältnis. Klitschko verkneift sich die Tirade, die ihm auf der Seele und den Lippen liegt, wenn der Präsident süffisante Andeutungen macht, er findet, in der Situation als angegriffenes Land „sollten nicht noch die Politiker einen Kampf austragen“.
Doch er kommt nicht los von der Bestimmung, dass das Leben ein Kampf ist. Er sagt: „Lieber sterben als Kiew den Russen überlassen“ oder, als die Heizungen ausfallen, „lieber in Kälte leben als mit den Russen“. Und so ist sein neues Leben doch auch wie das alte geblieben.
GÜNTER KLEIN