Ein wichtiger Autor des französischen Comics: Pierre Christin (1938-2024) schrieb für Zeichner wie Jean-Claude Mézières und Enki Bilal. © Ulf Andersen
Der Mann konnte nicht zeichnen, aber er konnte schreiben. Und in Frankreich, wo die Comics als nationales Kulturgut verehrt werden, ist eine gute Geschichte, also das Szenario, mindestens ebenso wichtig wie dessen Umsetzung in Bildern. Pierre Christin war ein meisterhafter Szenarist; am 3. Oktober ist er im Alter von 86 Jahren in Paris gestorben.
Als Autor war er seiner Zeit voraus. Im Jahr 1967 schickte er in seiner berühmtesten Comic-Serie „Valerian und Veronique“ seine beiden Titelhelden durch die Galaxien. Die Reihe, die Jean-Claude Mézières (1938-2022) zeichnete, sollte später die „Star Wars“-Filme von George Lucas beeinflussen. Die beiden Männer waren Schulfreunde; Mézières illustrierte bereits Pierre Christins erste Geschichte.
Doch bevor der sich so richtig auf die Comics einlassen konnte, schlug er zunächst eine akademische Karriere ein, promovierte in französischer Literatur und lehrte Politikwissenschaften an der Sorbonne. Dort ereilte ihn der Ruf von der Universität in Salt Lake City – Christin lernte in den USA nicht nur das Science-Fiction-Genre kennen. Er traf in Utah auch seinen Kumpel aus Kindertagen wieder, der inzwischen als Industriezeichner arbeitete. Damals entstand die Idee zu „Valerian und Veronique“, die ihr erstes Abenteuer dann 1967 im legendären französischen Comic-Magazin „Pilote“ erleben sollten. In Deutschland druckte „Zack“ die Reihe nach, in der es nie um die Kolonisierung fremder Planeten und Lebensformen ging, sondern stets um einen respektvollen Austausch.
Während sich sein Debüt, das 2017 von Luc Besson fürs Kino verfilmt wurde, vor allem an ein jugendliches Publikum richtete, trugen andere Arbeiten Christins mit dazu bei, dass der Comic als Medium für Erwachsene ernst genommen wurde. Der großartige Maler und Zeichner Enki Bilal, der aus seiner Heimat Jugoslawien bereits Anfang der Sechziger nach Frankreich emigriert war, arbeitete 1983 bei seinem wegweisenden Album „Treibjagd“ mit dem Autor zusammen. Die beiden erzählen im Stil einer Dokumentation von einer Gruppe Führungskräfte aus Staaten des Warschauer Pakts, die ein Mordkomplott gegen ein Mitglied des Politbüros planen – um einen Rückfall in den Stalinismus zu verhindern. Wobei über die wahren Motive der Protagonisten in diesem Politthriller durchaus spekuliert werden darf.
Eine weitere, mehrjährige Kooperation verband Christin mit seiner Landsfrau Annie Goetzinger (1951-2017), für die er etwa „Die Diva“ schrieb, die Geschichte einer Opernsängerin, die in ihrer Heimat Frankreich der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt wird. Doch egal, ob historische Stoffe oder Zukunftsmusik: Diesen Autor trieb stets die Frage um, was die Gründe hinter den Gründen für das Handeln der Menschen sind.
MICHAEL SCHLEICHER