Heute erscheint das dritte Buch des Showstars. © Heyne
Es gibt Buchtitel, die können einem Angst machen: „Ungefiltert“ von Thomas Gottschalk ist so einer. Als wäre filtern etwas Schlechtes. Kaffee schmeckt deutlich besser mit und Zigaretten sind giftiger ohne. Deutschlands ehemals erfolgreichster Entertainer aber ist der festen Überzeugung, dass er ungefiltert authentischer, ehrlicher, mutiger ist. Wer sich also an die 320 Seiten seines neuen Schmökers heranwagt, die an diesem Mittwoch im Buchhandel erscheinen, wird je nach persönlicher Einstellung belohnt oder geknechtet: Mit den Ansichten eines selbst ernannten Clowns, der in epischer Breite die „Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann“ (so der Untertitel), kundtut.
Als hätte man Gottschalk je „gefiltert“ erlebt. Über Jahre prägte der Showmoderator die deutsche Fernsehlandschaft mit seinem ungezügelten Redefluss. Als Kind verneigte man sich vor seiner Schlagfertigkeit, der heiteren Respektlosigkeit, mit der er seinen Mitmenschen begegnete. Und auch in seinem neuen Buch resümiert der inzwischen zumindest äußerlich gereifte, „dass er stets sagte, was ihm in den Sinn kam“. In seiner letzten „Wetten, dass..?“-Sendung im November 2023 verabschiedete sich Gottschalk mit den Worten, dass er aufhöre, „weil er im Fernsehen nicht mehr so reden dürfe wie zu Hause“. Eine Einschränkung, die ihm im Gegensatz zum Rest von Deutschland unerhört erschien.
Der Clown, den die Zeit im Laufe seiner langen TV-Karriere überholt hat, war beleidigt. Nein, verärgert, wie er in seinem neuen Buch nun geraderückt. Darüber, dass den nachfolgenden Generationen der Respekt für seine Ansichten fehle. Dass man nicht mehr offen diskutieren dürfe, dass jede Beleidigung gleich mit einem Shitstorm im Netz quittiert würde – auch wenn sie völlig unbedacht und ohne Böswilligkeit geäußert wurde. Das neue Buch sei, wie er selbst schreibt, „eine Flucht nach vorn“, mit der er um Verständnis werben will.
Oder auch nicht. Schwer zu sagen. Denn Gottschalk rudert gern – vor und zurück. Nahezu jedes der 28 Kapitel beginnt mit einer leicht sentimentalen Rückschau auf die Zeit, als er noch in Lederhosen auf Apfelbäume kletterte und schrumplige Kartoffeln aus dem Lagerfeuer fischte. Die Zeit, in der es noch keine Influencer, kein Cybermobbing, kein Instagram, keine hysterischen Helikopter-Mütter und keine Reality-Stars gab. Eine Ära, in der man weder Work-Life-Balance noch Yoga brauchte, „weil man sich die innere Ruhe im 2CV zurechtschaukelte“. Amüsant watscht er beiläufig alles ab, was ihn nervt, um im gleichen Atemzug zu betonen, dass ihm all die boshaften Kritiker, die Influencer, die Katzen und Hunde, die mehr Follower haben als er, „völlig wurst“ seien.
Genauso wie Heidi Klum samt Kaulitz-Clan und Tochter Leni, die „fürs Modeln zwar zu klein, für Unterhosen aber groß genug“ sei. Pietro Lombardi, Laura Müller (die Frau vom Wendler), Kim Kardashian, Amira Pocher und Danni Büchner – sie alle geben Gottschalk Rätsel auf, der nicht müde wird, „sein bemoostes Haupt“ zu schütteln in Kapiteln wie „Alter weißer Mann“, „Shitstorm? So war das gar nicht gemeint“, „Idole vs. Influencer“ oder „Was will die Gen Z?“
Nach seinen ersten beiden Büchern „Herbstblond“ und „Herbstbunt“ liest sich „Ungefiltert“ wie eine Mischung aus nostalgischem Tagebuch, großer Abrechnung und trotziger Rechtfertigung. Der Urvater des Altherrenwitzes („in dieser Causa bekenne ich mich einiger Ausrutscher schuldig“) und der körpernahen Gesprächsführung („ich widerspreche energisch“) will Absolution vom Publikum, das er immer hinter sich wusste, „bis es mir in den Rücken fiel – verursacht durch den Lärm der sozialen Medien“.
Wer sich durch die bisweilen launig fabulierte Fehdeschrift der Fernsehlegende kämpft, muss kein Therapeut sein, um eine Kommunikationsstörung zwischen Gottschalk und der Gegenwart zu diagnostizieren. Der 74-Jährige wehrt sich gegen das „zügige Ausgemustertwerden“ und ärgert sich über die Verachtung der Jugend, ohne auch nur ansatzweise die Bereitschaft zu zeigen, ihr auf Augenhöhe und mit dem von ihm geforderten Respekt zu begegnen.
Gottschalk will Narrenfreiheit. Doch sie „nur“ in den eigenen vier Wänden auszuleben, beglückt ihn nicht. „Noch, glaube ich, wäre es zu früh, mich aus der öffentlichen Wahrnehmung auszublenden“, schreibt er. Immerhin gebe es ja auch Follower, die sich dankbar „an ihn kuscheln“, froh, „an seinem Leben teilhaben zu dürfen“. Da ist er wieder, der Schrei nach Liebe, der zwischen den Seiten dieses Buches hallt, und es streckenweise nur schwer erträglich macht.
ASTRID KISTNER
Thomas Gottschalk
„Ungefiltert“. Heyne-Verlag, 320 Seiten; 24 Euro.