„Man kann hier Klischeevorstellungen aufbrechen“: Beobachter sind sich einig, dass nicht zuletzt die Fähigkeit Günther Jauchs, die Kandidatinnen und Kandidaten zum Reden zu bringen, den Erfolg von „Wer wird Millionär?“ ausmacht. © RTL
Es klingt wie ein Mythos, aber anfangs waren tatsächlich nur vier Sendungen geplant. Die erste Folge war von der Quote her betrachtet schlecht. „Die zweite war ganz schlecht“, erinnert sich Jauch. „Die dritte wieder sehr mäßig und die vierte richtig gut.“ Daraufhin habe man beschlossen, noch mal vier zu machen. Daraus wurden bis heute mehr als 1600 Ausgaben. Zeitweise lief die Sendung dreimal pro Woche – freitags, samstags und montags – und hatte einen Zuschauerschnitt von knapp zehn Millionen. Die beste Sendung lockte 14,2 Millionen Menschen vor den Bildschirm.
Solche Einschaltquoten sind Geschichte, doch „WWM“ läuft mit bis zu fünf Millionen Zuschauern immer noch sehr passabel. Zudem spricht die Sendung alle Altersklassen an. Da überrascht es, dass Jauch bis heute keinen schriftlichen Vertrag hat – und seit 23 Jahren auch keine Gehaltserhöhung mehr einstreichen konnte. Klagen von seiner Seite sind deswegen aber nicht zu hören: „Das Honorar ist mehr als auskömmlich.“
Groß planbar ist die Sendung nicht. Auf der kleinen Karte, die er vorher bekomme, stünden nur wenige Angaben – Name, Alter, Familienstand, Wohnort. „Fertig. Mehr steht da im Grunde nicht drauf“, sagt Jauch. Alles andere muss sich aus der Situation ergeben. Und damit nähert man sich auch schon dem eigentlichen Erfolgsgeheimnis der Sendung. Ein Grund ist sicherlich, dass die Zuschauer zu Hause mitraten und so ihr Wissen testen können. Aber das allein hätte „WWM“ kaum durch ein Vierteljahrhundert getragen. Aber das eigentlich Spannende ist, dass man interessante Leute kennenlernt. Sie machen den Erfolg der Sendung aus – gekoppelt an Jauchs Fähigkeit, sie zum Reden zu bringen.
Manchmal wird der Kandidatenstuhl fast zur Couch. Es ist verblüffend, was selbst schüchterne Menschen von sich preisgeben. Jauch erklärt das mit der relativ intimen Atmosphäre im Studio, bei der sich zwei Menschen vor Bildschirmen konzentriert gegenübersitzen – das Publikum verschwindet in der Dunkelheit. „Es gab hier zum Beispiel Leute, die in ihren Familien immer untergebuttert wurden, die immer das ,Dummchen‘ waren und dann plötzlich hier auftrumpfen und einen sechsstelligen Betrag abräumen“, erinnert er sich. „Bestes Beispiel ist unsere zweite Millionen-Gewinnerin Marlene Grabherr. Das war eine arbeitslose Hausfrau, bei der man merkte, dass das Leben es bis dahin nicht besonders gut mit ihr gemeint hatte. Und wie die dann bei uns zur Heldin aufstieg, das war schon toll.“
Ein anderer spektakulärer Fall ist Bastian Bielendorfer. Er erzählte in der Sendung, dass er ein Lehrerkind sei und ein Buch darüber geschrieben habe, wie schrecklich das sei – er könne aber keinen Verlag dafür finden. „Der war sehr witzig, hat dann auch seinen Vater, den Lehrer, als Telefonjoker angerufen – sehr lustiger Dialog. Daraufhin meldete sich dann ein Verlag bei ihm mit der Bitte, ihm das Manuskript mal zuzuschicken, er hatte aber keine einzige Zeile geschrieben. Da hat er sich dann 14 Tage eingeschlossen und Tag und Nacht dieses Buch geschrieben, damit die Lüge nicht auffliegt. Dann ist das ein Bestseller geworden – und heute tourt er mit seinem eigenen Comedyprogramm durch die Republik.“
Manche Stammzuschauer behaupten, sie könnten Günther Jauch sehr schnell anmerken, ob er einen Kandidaten möge oder nicht. Stimmt das? „Kann schon sein“, sagt er. „Ich bekenne mich auch dazu, dass ich mich nicht wahnsinnig verstelle in der Sendung. Manche Kandidaten können ja auch nervig sein.“ Oder wollten ihn unbedingt dazu bringen, ihnen einen Tipp zu geben. Dies „in völliger Ignoranz der Tatsache, dass ich ja gar nicht bei jeder Frage die richtige Antwort weiß. Und die Sendung heißt ja nicht ,Betreutes Gewinnen‘ – man muss da schon aus eigenem Antrieb etwas schaffen.“
Von daher gibt es immer auch mal wieder Sendungen, bei denen er denkt „okay, das war jetzt nicht das Highlight“. Aber dann ergeben sich wieder Gespräche, die ihm großen Spaß machen. Insofern ist es so wie meine Schwiegermutter mal gesagt hat: Hier läuft Gottes großer Zoo auf, und der ist schon lustig anzusehen.“
C. DRIESSEN