Triumph als Spieler: Beckenbauer nach dem deutschen Endspielsieg 1974.
Triumph als Präsident: Beckenbauer feiert den Meistertitel des FC Bayern im Jahr 1996.
Natürlich, die Szenen, die wir alle kennen, die wir über die Jahrzehnte immer wieder gesehen haben – sie kommen auch in dieser Dokumentation über Franz Beckenbauer vor. Wie er Suppe isst und seinen Werbespruch aufsagt, wie er „Gute Freunde kann niemand trennen“ singt, wie er als Weltmeistertrainer versonnen über den Rasen des Stadions in Rom schlendert. Ein Film über Franz Beckenbauer wird sich immer entlanghangeln an den Stationen und Bildern seiner Karriere, die in den Archiven zu finden sind.
Obwohl uns diese Klassiker vertraut sind und wir wissen, dass das Bild von Beckenbauer sich mit der Zeit bis zur Entfremdung verändert, können wir nicht genug kriegen von diesem Leben und sind bereit, es uns immer wieder vorführen zu lassen. Also noch eine Beckenbauer-Doku? Ja, gerne! Und diese, die neueste, schafft es auch, im vertrauten Erzählrahmen auf neue Weise spannend zu werden. „Beckenbauer – Der letzte Kaiser“ heißt der Dreiteiler, der auf Magenta TV bereits angelaufen ist und Anfang Januar auch ins frei empfangbare Fernsehen zu Arte und ins ZDF kommen wird.
Regisseur ist Torsten Körner. Er hat sich einen Namen gemacht mit berührenden Filmen über die ersten Politikerinnen in bundesdeutschen Parlamenten („Die Unbeugsamen“) oder die problematischen Karrieren dunkelhäutiger Fußballer in der Bundesliga und der Nationalmannschaft („Schwarze Adler“), doch schon vor 20 Jahren ist er als Buchautor in den Beckenbauer-Kosmos eingetaucht. Im Jahr 2005 erschien „Der freie Mann“, es ist die beste Biografie über Franz Beckenbauer. Der Porträtierte wirkte an ihr mit, ohne dass daraus ein Ich-Buch wurde, er öffnete sich, erlaubte Torsten Körner den Blick von außen, regulierte nichts.
Beckenbauer saß bei der Buchpräsentation im Münchner Seehaus an Körners Seite und sagte: „Er weiß mehr über mich als ich selbst.“ Der Kontakt zwischen den beiden Männern schlief nach dem Projekt ein, doch nach Franz Beckenbauers Tod im Januar dieses Jahres hat Torsten Körner sein Netzwerk reaktiviert und einen insgesamt 152 Minuten langen und sehr stimmigen Film über Beckenbauer gedreht.
Matthias Brandt, Bundeskanzlersohn und Schauspieler, teilt gleich zu Beginn seine Einsicht, dass „die persönliche Entwicklung dieses Mannes parallel zur Geschichte der Bundesrepublik verläuft“. Das ist der Leitfaden der Geschichte, und so erleben wir Franz Beckenbauers Wirken als gesellschaftspolitische Erzählung. Körner hebt einige Archivschätze wie ein Interview Beckenbauers, der nach dem WM-Finale von 1966 den Schiedsrichter wegen des „Wembley-Tors“ hart kritisiert – und vom immer sportsmännischen Uwe Seeler eingebremst wird. Und Körner bringt in seinen Gesprächen die Zeitzeugen dazu, Beckenbauer nicht nur zu erklären und einzuordnen, sondern noch tiefer zu gehen.
Günter Netzer, der frühere Mitspieler, erzählt, er habe Beckenbauer im Jahr 1987 mal gefragt, ob er das Aufwachsen seiner Kinder denn überhaupt mitbekommen habe. Kaum, habe der Franz ihm offenbart, „denn ich war selbst noch ein Kind“. Mit 23 war er bereits dreifacher Vater. Walter Beckenbauer, der Bruder, berichtet von den letzten wortlosen Austauschen am Bett des sterbenskranken Franz – und dass er sich dessen Ableben anders vorgestellt hätte: „Dass er beim Abschlag (beim Golf) nach einem Glaserl Rotwein zusammenbricht – aber nicht so, da friert’s mich.“ Franz Beckenbauer starb infolge einer Demenz aufgrund seiner Parkinson-Erkrankung. Und irgendwie in Vereinsamung infolge der 2015 enthüllten „Sommermärchen“-Affäre, wie Matthias Brandt konstatiert: „Er ist Opfer seines eigenen Bilds geworden.“
Das bleibendste Bild ist: Beckenbauer, wie er den Ball führt. „Die Form des Balls ist göttlich“, hat er gesagt. Am Ende von „Der letzte Kaiser“ liebkosen alle von Körners Erzählern (unter ihnen Günther Jauch, Marius Müller-Westernhagen, Friedrich Ani, Christian Petzold oder der selbst schon verstorbene Willi Lemke) den Ball. Er schreibt Lebensgeschichten, das ist die Erkenntnis.
GÜNTER KLEIN