Tatort Kirche

von Redaktion

Kindesmissbrauch als Thema: Die Hintergründe zum gestrigen Fall von Kommissar Falke

Ein gruseliges Bild, wenn man weiß, was passiert ist: Pastor Otto (Hannes Hellmann) und die Fußballjungs. © Schulz/NDR

Vor Ort bekommt Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) Unterstützung von Kollegin Eve Pötter (Lena Lauzemis). Gedreht wurde der „Tatort“ in einem Kloster in der Eifel. © Schulz/NDR

Der „Tatort“ aus Hamburg hat sich an ein heikles Thema getraut: Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. Hintergründe zu dem bedrückenden Fall, der auch Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) an seine Grenzen brachte.

Wer hatte die Idee?

Seit Jahrzehnten läuft sonntags ein Krimi im Ersten – der jüngste Fall aus Hamburg, der gestern Abend ausgestrahlt wurde, war aber nach Angaben der ARD der erste „Tatort“, der von Kindesmissbrauch in der Kirche erzählt. Der Impuls dazu kam von Christian Granderath, dem Fernsehfilmchef des NDR. „Er fand es unfassbar, dass eines der größten Serienverbrechen der letzten Jahrzehnte vom ,Tatort‘ bisher verschont geblieben ist“, sagt Autor Stefan Dähnert. Daraufhin habe er angefangen zu recherchieren und schließlich das Drehbuch zu „Schweigen“ geschrieben.

Ein echter Fall als Vorlage

Bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken ist derzeit ein Fall anhängig, der Ähnlichkeiten mit dem Fernsehkrimi hat. Ein Polizeibeamter hatte im Haus seines verstorbenen Onkels, eines Priesters aus dem Bistum Trier, nach dessen Geburtsurkunde gesucht für die Beerdigung – und dabei kinderpornografisches Material gefunden. Tausende Fotos und Dias. „Vermutlich wurden diese Fotos in bestimmten Kreisen rumgereicht“, so Dähnert. „Man dachte ja, man hat schon alles über den Missbrauch in der katholischen Kirche erfahren. Aber dass es Priester gab, die Kinder untereinander geteilt haben, das wurde uns hier erst klar.“ Und zum Vorbild für den „Tatort“.

Wo wurde gedreht?

Die Suche nach einem geeigneten Drehort gestaltete sich schwierig. „Viele Klöster, die wir uns angeschaut haben, wollten mit dem Thema nicht in Verbindung gebracht werden“, erzählt Regisseur Lars Kraume. Glück hatte man schließlich in einem Trappisten-Kloster in Heimbach (liegt in der Eifel, also außerhalb des NDR-Sendegebiets), das mangels Nachwuchs seit 2018 leer steht. „Ich betrachte die Zusage als Zeichen der katholischen Kirche, sich der Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels nicht in den Weg stellen zu wollen“, so Kraume. Das Drehbuch hatten die Verantwortlichen zuvor zum Lesen bekommen. Und der Geistliche Leiter der Abtei, Andreas Rose, war bei den sechswöchigen Dreharbeiten sogar dabei.

Das sagt ein Betroffener

Matthias Katsch wurde als Kind in der Kirche missbraucht, gründete die Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ und ist deren Sprecher. Den „Tatort“ findet er hervorragend. „Es ist für mich das Beste, was ich im fiktionalen Fernsehen zu katholischen Missbrauchsskandalen gesehen habe, seit wir im Jahr 2010 das Thema öffentlich gemacht haben“, sagt Katsch. Der Film kondensiere in einer nachvollziehbaren, fiktiven Handlung viele tausend Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester. Der gezeigte Umgang der Vorgesetzten und Kollegen des Täters bildeten sehr gut ab, wie tatsächlich in der Vergangenheit mit diesen Verbrechen innerkirchlich umgegangen worden sei.

Am Anfang habe er die Befürchtung gehabt, dass die Geschichte auf ein Rachedrama hinauslaufen könne. Die Opfer würden in der Regel aber keine Vergeltung suchen. Was erhofft er sich von der Ausstrahlung dieses „Tatorts“? „Ich hoffe, dass der Film Betroffenen und deren Angehörigen Mut macht oder sie veranlasst, sich Unterstützung zu suchen, um nicht allein damit zu bleiben.“ Die Erwartung, dass die Amtskirche reagiert, habe er nicht mehr. „Aber vielleicht lassen sich die Gläubigen motivieren, sich einzumischen: So darf es nicht bleiben, wir müssen etwas dagegen tun!“

Die Kritik zum Film

Es geht um Kindesmissbrauch – und das, was passiert ist, wird nicht gezeigt. Allein das Gesicht von Falke beim Sichten der unzähligen Bilder und Dias erzählt von dem Entsetzlichen, was die betroffenen Jungs durchleiden mussten. Wotan Wilke Möhring spielt das stark. Und es ist gut, dass dieser bedrückende Krimi auf jeden Voyeurismus verzichtet, der die Opfer erneut zu Objekten gemacht und alles konterkariert hätte. Überzeugend auch Florian Lukas als Daniel, den auch Jahre nach dem Missbrauch die eine Frage immer noch quält: „Warum ich?“
STEFANIE THYSSEN

(MIT MATERIAL VON ARD UND KNA)

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