Festlicher Rahmen: Im Alten Rathaus in München fand die Preisverleihung statt. © Yannick Thedens
Er habe sich „erschreckend wenige Gedanken gemacht“, behauptet Till Reiners, hält dann aber eine furiose Dankesrede, in der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nicht gut wegkommt.
Der „doppelte Boden“ – eine Vokabel, die gerne verwendet wird, wenn die Kunst eines Kabarettisten beschrieben werden soll. Till Reiners, das wird an diesem Abend im Festsaal des Alten Rathauses immer wieder klar, ist ein Meister dieser Kunst. Er habe sich „erschreckend wenig Gedanken gemacht“ über seine Dankesrede, sagt der Mann mit dem Jungengesicht, als er dran ist, habe aber keine Angst vor den Konsequenzen: „Ich habe den Preis ja jetzt!“ Der Preis, das ist der Dieter-Hildebrandt-Preis, mit dem die Stadt München den 39-Jährigen am Montagabend auszeichnete, in Anwesenheit von Witwe Renate Küster-Hildebrandt.
Der gebürtige Duisburger Reiners ist – auf seine Art – ein würdiger Preisträger im Sinne des Namensgebers, obwohl er ja unter „Comedian“ gelistet ist. Er habe ihn zwar nie persönlich kennengelernt, aber „Comedian oder Kabarettist – das war Hildebrandt egal, das war ein undogmatischer Typ“, ist sich Reiners sicher. Dass der blonde Spötter, Moderator der „Happy Hour“ bei 3sat und häufiger Gast in der „heute show“ und in der „Anstalt“, kein Leichtgewicht sein kann, wird schon aus den Reden deutlich, die auf ihn gehalten werden. Stadtdirektor Marek Wiechers, der „so bürgermeisterlich wie möglich“ die Rede des verhinderten OB Dieter Reiter vorträgt, bezeichnet ihn als „sanften Zyniker“. So habe er – doppelter Boden – einmal die Gründung von „Keiner Partei“ erwogen, denn der trauten Umfragen zufolge die meisten die Lösung der Probleme in Deutschland zu. Doch Wiechers lobt auch Reiners‘ „bemerkenswertes gesellschaftspolitisches Engagement“.
Journalistin und Moderatorin Eva Schulz hebt als Laudatorin zunächst den „enormen Output“ des Wahl-Berliners hervor, mit dem man Wochen verbringen könne – und „alles daran ist gut“. Reiners „tritt nicht nach unten, sondern nimmt sich die vor, die es vertragen können“, so Schulz. Er sei ein „hervorragender Beobachter“, der „Widersprüche wahrnimmt“ und „mehr will, als uns zum Lachen zu bringen“. Außerdem habe er eine Eigenschaft, die nicht alle Männer hätten – „er gibt zu, wenn er einmal etwas nicht weiß“. Reiners habe – noch so eine Eigenschaft, die an Dieter Hildebrandt denken lässt – „einen klaren moralischen Kompass“.
Reiners beglaubigt, freundlich Zähne zeigend, solche Worte sofort, richtet sich an die anwesenden CSU-Stadträtinnen und -räte, die sich auf etwas gefasst machen könnten, „oder was habt Ihr gedacht, das hier passiert?“ Und nimmt sich dann mit eleganter Schärfe Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz vor. Kanzler? „Das ist ein bisschen hoch gegriffen“, konstatiert der Comedian, der jetzt ganz Kabarettist ist, und erinnert sehr plastisch an den weiten Weg des Politikers an die CDU-Spitze, im dritten Anlauf, vorher habe man ihn nicht auf diesem Posten haben wollen. „Er hält sich für einen Siegertypen – aber man kann auch als reicher Mensch ein Loser sein“, teilt Reiners aus und hält ein paar Sätze später – doppelter Boden – nur kurz inne. „Immer wenn man denkt, man ist zu gemein“, sinniert er, „muss man nur googeln, was Merz schon so alles gesagt hat“, und schon verwerfe man diesen Gedanken wieder.
Den Saal aus Protest verlassen hat bis dahin niemand, er oder sie hätte auch die Schlussnummer(n) von Spaßmacher Hinnerk Köhn verpasst, der den (musikalischen) Rahmen setzt. Deftige Lieder über männliche Allmachts- und Ohnmachtsfantasien, das passt irgendwie zu diesem Abend, der sehr politisch ist und an dem trotzdem viel gelacht wird. Das hätte Dieter Hildebrandt gefallen.
RUDOLF OGIERMANN