Sieht dem TV-Aus gelassen entgegen: Franz Xaver Gernstl. An den Weihnachtsfeiertagen zeigt das BR Fernsehen jeweils um 18.45 Uhr die letzten beiden Reportagen von „Gernstl unterwegs“. © Sven Hoppe/dpa
Die Sucht, am Leben anderer Menschen teilzuhaben, sie brennt immer noch in Franz Xaver Gernstl. Vor mehr als vier Jahrzehnten startete der Münchner Filmemacher mit seinen beiden Freunden HP Fischer (Kamera) und Stefan Ravasz (Ton) seine Touren durch die Weltgeschichte, immer auf der Suche nach echten Menschen, außergewöhnlichen Lebensentwürfen und Antworten auf Fragen, die sie selbst noch gar nicht kannten. Doch damit ist jetzt Schluss. An den Weihnachtsfeiertagen zeigt das BR Fernsehen jeweils um 18.45 Uhr die letzten beiden Reportagen von „Gernstl unterwegs“. Weitere Episoden der kultigen Reihe, die den Münchner Sender wie keine zweite prägte, wurden nicht bestellt. Schade. Es waren diese kleinen feinen Alltagsgeschichten, die wunderbar amüsieren und auch tief berühren konnten. „Wir haben Lebensweisheiten gesammelt“, sagt Franz Xaver Gernstl im Gespräch mit unserer Zeitung. „Die kann man sich auch anlesen, aber wenn‘s einer sagt, der authentisch ist, dann hat das eine andere Wucht.“ Dass der Bayerische Rundfunk dem roten VW-Bus, mit dem sie jahrzehntelang durch die Lande tuckerten, die Zündschlüssel gezogen hat, stimmt den 73-Jährigen nicht wehmütig. „Das ist schon okay. Wir haben jetzt 42 Jahre unsere Filme für den BR gemacht, da muss man nicht jammern, wenn der Sender sagt, dass jetzt mal die Jungen dran sind. Für mich ist das kein großes Problem, aber meine beiden Kumpanen stecken in einer Sinnkrise“, sagt er lachend.
Viele Kilometer haben die Freunde gemeinsam zurückgelegt, gelacht, gestritten, gefeiert. „Filmemachen kann wirklich scheiße sein. Und manchmal packt dich die Krise, aber wenn du in irgendeiner Pension sitzt, dir am Abend das Filmmaterial anschaust und merkst, dass du ein paar wahrhaftige Momente eingefangen hast, dann ist das großartig.“ Ihre Mission hat sie weit über Deutschlands Grenzen getragen. In den letzten Jahren war das Trio in Irland, der Schweiz, in Italien, aber auch in New York und Los Angeles unterwegs. Fürs Finale stand wieder Bayern auf dem Plan.
In Peißenberg im Pfaffenwinkel besucht das gut gereifte Team den gläubigen Pyrotechniker Ingo Hummig, pilgert weiter zum Bilderbuchbahnhof Mittenwald, wo sie Lasse Stolley treffen, der mit 16 Jahren von zu Hause ausgezogen ist und dank Bahncard 100 seit zwei Jahren im Zug wohnt. Es gibt eine Stippvisite bei Pappmaché-Künstlerin Christiane Altzweig in Fürth und einen Besuch beim Allgäuer Tätowierer und Maler Daniel Bensmann. Was diese Menschen gemeinsam haben? Sie sind auf ihre Art Lebenskünstler.
Und wie geht‘s den „Rolling Stones des Dokumentarfilms“ so ganz ohne die nächste Reise, das nächste Abenteuer im Gepäck? „Unser Tonmann Stefan weiß nicht mehr, was er mit seinem Leben anfangen soll“, lacht Gernstl. „Deshalb überlegen wir, ob wir nicht einfach weiterdrehen – egal ob‘s der BR haben will oder nicht. Eine eingeschworene Filmcrew, die nicht aufhören kann zu drehen – das könnte eigentlich eine gute Story für einen Spielfilm sein.“
ASTRID KISTNER