Ein Wildfang von Räubertochter: Die schwedische Nachwuchsschauspielerin Kerstin Linden begeistert als Ronja. © Audrius Solominas/ARD
Wieso denn blus? Warum tun sie dus? Wie die Rumpelwichte fragt man sich sorgenvoll, ob das nicht schiefgehen muss: eine Neuverfilmung des viel geliebten Astrid-Lindgren-Klassikers „Ronja Räubertochter“. Literaturverfilmungen sind ohnehin immer so eine Sache, und dann haben alle Anfang der Neunzigerjahre Geborenen und deren Eltern ja noch die schwedische Adaption „Ronja, die Räubertochter“ aus dem Jahr 1984 vor Augen. In der Hanna Zetterberg mit braunen Mandelaugen, frechen Sommersprossen auf der Nase und dicker Mähne auf dem Kopf Astrid Lindgrens Wildfang von Räubertochter im Kino zum Leben erweckte. Und jetzt soll plötzlich ein anderes Mädchen in die Rolle der Ronja schlüpfen?
„Pfui! Pfui! Pfui!“, quietschen da die Rumpelwichte. Doch wir Menschenkinder stimmen schon nach wenigen Minuten dieser neuen Serie in ein begeistertes Jauchzen ein. Was die schwedisch-britische Regisseurin Lisa James Larsson hier geschaffen hat, ist Fantasy auf höchstem Niveau. Mit Kamerafrau Frida Wendel, Kostümbildnerin Cilla Rörby und Szenenbildnerin Ulrika von Vesack schafft sie Bilder und Kulissen, die es mit „Game of Thrones“ oder „Harry Potter“ locker aufnehmen können. Überhaupt haben viele Frauen entscheidende Rollen bei dieser Produktion besetzt. Das passt zu einer Geschichte, in der es die Ladys sind, die selbstbewusst die Linie vorgeben.
Allen voran natürlich Ronja, deren Darstellerin nicht besser hätte gecastet werden können. Die Schwedin Kerstin Linden war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten zwar bereits 15 Jahre alt, wirkt aber optisch mit ihren funkelnden Augen, dem Lockenschopf und dem kindlichen Gesicht wesentlich jünger. Gleichzeitig strahlt die talentierte Nachwuchsschauspielerin eine große Reife und Stärke aus. Eine Ronja, wie sie in Lindgrens Buche steht: voller Neugierde auf die Welt, in brenzligen Situationen aber noch immer Papas Mädchen, das von ihrem Vater Mattis (Christoph Wagelin) schon mal vor angsteinflößenden Gestalten, die den Mattiswald bewohnen, gerettet werden muss. Doch Mutter Lovis (Krista Kosonen) ist es dann, die der Tochter mit auf den Weg gibt: „Es ist besser, wenn man gar keine Angst hat.“ Denn Angst mache Kreaturen wie die Graugnome nur noch gefährlicher. „Ich soll also niemals Angst haben?“, fragt Ronja. Und die Mutter: „Im Prinzip ja.“ Papa Mattis, stetig voller Sorge um sein Täubchen, interveniert sogleich: „Das heißt aber nicht, dass es nicht auch Dinge gibt, von denen du dich besser fernhältst.“
In diesem Dialog wird deutlich, wer in der Mattis-Burg die fellgefütterten Hosen anhat. Regisseurin Larsson erzählt Astrid Lindgrens Roman, der wie jedes gute Kinderbuch auch Erwachsene so vieles über das Leben lehrt, als das, was er ist: eine Emanzipationsgeschichte. Denn diese Ronja weiß gar nicht, was ihr geliebter Papa mit seiner Räuberbande täglich treibt. Stark der Moment, in dem das Mädchen zum ersten Mal mit auf Beutezug muss. Wenn die Blicke von Vater und Tochter sich treffen, während er Frauen und Kinder aus einer Kutsche reißt, wenn sie sieht, wie brutal er mit den Menschen umgeht, tut das Mädchen, was jedes Mädchen eines Tages tun muss: Sie stürzt ihren Vater innerlich vom Thron ihres Herzens. Doch auch in Mattis tut sich in dieser Schlüsselszene etwas. Wagelin zeigt ihn als zerrissenen Mann: einerseits von seinem eigenen Vater dazu erzogen, der größte Räuberbandenführer weit und breit zu werden, andererseits voller Sensibilität und Empathie. In dem Blick der Tochter scheint er sich selbst als Kind zu erkennen. Will er eigentlich der böse Räuber sein, zu dem er gemacht wurde?
Das Hinterfragen der eigenen Familiengeschichte, die Loslösung vom Elternhaus, kurz: das Erwachsenwerden spiegelt sich auch in der Freundschaft wider, die Ronja nach und nach mit Birk (Jack Bergenholz) schließt. Kein Zufall: Ausgerechnet den Sohn der verfeindeten Borka-Bande wählt das Mädel zu ihrem brüderlichen Seelenverwandten. In herrlichsten Aufnahmen, die auch für die große Leinwand gemacht sind, erkunden die beiden Heranwachsenden den Mattis-Wald. Angstfrei, voller Neugierde und Entdeckerlust. In satten Grüntönen feiert die Serie die Schönheit der Natur. Schneckenwettrennen, Apfelwettessen, Steinweitwurf – friendly Reminder: Wie lustig so eine analoge Kindheit sein kann!
Noch stärker als der Film von 1984 schmückt die Serie (Drehbuch: Hans Rosenfeldt) auch den Konflikt von Birk mit dessen Vater aus; zeigt deutlich, unter welchem Druck der Bursche steht. Sie bezieht die hungernde Dorfbevölkerung ein, macht die sozialen Konflikte deutlicher.
KATJA KRAFT
„Ronja Räubertochter“
Die Folgen eins bis drei sind am
25. Dezember ab 20.15 Uhr in der ARD zu sehen, die Folgen vier bis sechs am 26. Dezember ab 18 Uhr. In der ARD Mediathek sind bereits jetzt alle Folgen abrufbar.