Hat sich bislang nicht geäußert: Thilo Mischke. Eigentlich sollte er ab Februar das Kulturmagazin „ttt“ moderieren. Nach massiven Vorwürfen nahm die ARD ihre Entscheidung zurück. Wer die Sendung nun präsentiert, ist noch unklar. © Rehbeck/ARD
Das Hin und Her um Thilo Mischke hat ein (vorläufiges?) Ende gefunden: Er ist seinen Job als Moderator des ARD-Kulturmagazins „ttt – titel, thesen, temperamente“ schon wieder los, bevor er ihn überhaupt begonnen hat. Der öffentlich-rechtliche Rundfunkverbund hat am Wochenende einen Rückzieher gemacht und davon abgesehen, Mischke zu beschäftigen. Der Journalist und Autor sieht sich seit gut zwei Wochen Vorwürfen etwa des Sexismus ausgesetzt, die sich auch auf sein rund 15 Jahre altes Buch beziehen (wir berichteten).
Zur Erinnerung: Vor Weihnachten hatte die ARD bekanntgemacht, dass Thilo Mischke ab Februar als Nachfolger von Max Moor und im Wechsel mit Siham El-Maimouni die Moderation der Sendung übernimmt, die sonntags am späten Abend im Ersten ausgestrahlt wird. Nach ARD-Angaben ist El-Maimouni Hauptmoderatorin. „ttt“ zählt zu den bekanntesten Kultur-Formaten der ARD. Die Sendung gibt es seit 1967, sie hat durchschnittlich rund 850 000 Zuschauer.
Im Netz gab es zu der Personalie neben Zustimmung schnell auch viel Kritik. In einem Podcast wurden Zitate Mischkes aus seinem früheren Werk zusammengetragen. Zuletzt kursierte ein offener Protestbrief von Kulturschaffenden, die ihre Zusammenarbeit mit Mischke verweigerten. Sie werfen ihm vor, sich nicht kritisch mit seinem früheren Werk auseinandergesetzt und sich nicht ausreichend distanziert zu haben. Der Unmut dreht sich vor allem um sein Buch „In 80 Frauen um die Welt“ aus dem Jahr 2010. Mischke reiste wegen einer Wette, 80 Frauen zu verführen, um die Welt.
Die ARD zog nun Konsequenzen. In einem Statement hieß es: „Thilo Mischke und die ARD sind sich einig darin, dass es nun vor allem darum geht, einen weiteren Rufschaden von ,ttt‘ und Thilo Mischke abzuwenden.“ Mischke befinde sich in einem noch andauernden Prozess der Auseinandersetzung mit den Ereignissen und werde sich zu gegebener Zeit selbst zur Sache äußern. Bislang schweigt er.
ARD-Programmdirektorin Christine Strobl sieht die aktuelle Diskussionskultur kritisch: „Ich habe in den letzten Tagen schon das Gefühl gehabt, dass wir in einer sehr aufgeregten, sehr dynamisierten Form diskutiert haben. Ich wünsche mir, dass wir wieder zu einer Form zurückkommen, die nicht eine Debatte unmöglich macht“, sagt sie. Strobl, die nicht in den Entscheidungsprozess integriert war, ergänzte: „Die Entscheidung der Kulturchefinnen und -chefs beruht auf der Erkenntnis, dass eine Diskussion nicht mehr möglich ist. Und das finde ich einen problematischen Zustand, und das treibt mich sehr um.“
Die Podcasterin und Autorin Jule Lobo hätte eigentlich zusammen mit Mischke zur „ttt“-Marke einen Podcast machen sollen. Weil die ARD auch hier Mischke abzog, ist die Zukunft des angedachten Projekts offen. Lobo postete auf Instagram: „Ich hätte mir gewünscht, dass man in diesem Fall nicht nur über die problematischen Äußerungen, sondern auch über Fehlerkultur und den Umgang mit früheren Fehlern sprechen kann.“ Sie ergänzte: „Allein schon aus meiner Erfahrung, dass wir alle täglich dazulernen können und Menschen Chancen eingeräumt werden müssen, ist es, glaube ich, auch notwendig, dass wir darüber sprechen. Aber das wird nun anders geschehen müssen.“
Die ARD hatte zunächst an der Personalie Mischke trotz Kritik festgehalten und vor kurzem noch betont: „,ttt‘ stellt sich gegen jede Form von Sexismus und Rassismus und steht, genauso wie Thilo Mischke, für Meinungsvielfalt und Toleranz.“ Seit der Buchveröffentlichung im Jahr 2010 habe Mischke sich „intensiv und selbstkritisch mit den Vorwürfen, darin ein sexistisches Frauenbild vermittelt und stellenweise rassistische Sprache benutzt zu haben, auseinandergesetzt“.
Der Auswahlprozess für die „ttt“-Moderation dauerte seit März 2024, wie ARD-Managerin Strobl sagte. Auf die Frage, ob die ARD nun „umgefallen“ sei, antwortete sie: „Das ist kein Umfallen, sondern ein Erkennen, dass die für uns relevanten Kulturthemen durch eine Diskussion um die Personalie überlagert werden.“ Aus dem ARD-Statement ging nicht eindeutig hervor, ob man eine Zusammenarbeit mit Mischke nur für „ttt“ oder generell für die gesamte ARD ausschließt.
Mischke ist vor allem durch Reportagen für den privaten Fernsehsender ProSieben bekannt. Er gewann 2023 den Deutschen Fernsehpreis für seine ProSieben-Reportage „Verlassen und vergessen? Afghanistan im Griff der Taliban“. Vor der vergangenen Bundestagswahl interviewte Mischke im April 2021 für ProSieben die damals erst frisch gekürte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne). 2020 gewann er den Bayerischen Fernsehpreis für seine ProSieben-Reportage „Deutsche an der ISIS-Front“ über Menschen, die für die Terrormiliz Islamischer Staat in den Krieg ziehen.
ProSieben stellte sich indes schon vor Tagen hinter Mischke. Der Sender postete am Donnerstag auf der Plattform X: „Was für eine wilde Jagd auf @ThiloMischke. Wir schätzen ihn, weil er seit Jahren unfassbar wichtige und gute Reportagen macht, für die er vielfach ausgezeichnet wurde. Ihn nur an einem Buch aus der Damals-Zeit zu messen, ist ein sehr, sehr selbstgerechter Ansatz, der viel über diejenigen aussagt, die genau das machen.“
Zudem teilte Sendersprecher Christoph Körfer mit: „ProSieben arbeitet seit Jahren vertrauensvoll mit Thilo Mischke zusammen.“ Man freue sich „auf besondere Thilo-Mischke-Reportagen in 2025 und den Jahren danach auf ProSieben“.
ANNA RINGLE