Und plötzlich werden aus Sportreportern politische Berichterstatter: Blick in die Kommandozentrale des US-Senders ABC, der über das Olympia-Attentat in München 1972 hautnah berichtete. Leonie Benesch (2. v. li.) spielt eine deutsche Übersetzerin. © Constantin
Mehr als die Hälfte der Wettkämpfe waren ausgetragen, als am elften Tag der Olympiade in München, dem 5. September 1972, ein Attentat die Welt erschütterte: Ein palästinensisches Terrorkommando stürmte das Olympische Dorf und nahm elf israelische Athleten als Geiseln. Zwei von ihnen werden noch in der Unterkunft getötet. Die Übrigen sterben im Morgengrauen auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Das grauenhafte Massaker war das erste Attentat der Geschichte, das aufgrund der TV-LiveBerichterstattung rund um den Globus mitzuerleben war. Hier setzt der beeindruckende Spielfilm „September 5 – The Day Terror went live“ des Schweizers Tim Fehlbaum an. Er konzentriert sich konsequent auf den Aspekt der Direktübertragung und beschränkt sich ausschließlich auf die Perspektive des US-Fernsehsenders ABC, der für seine Arbeit vor Ort einen Container als Redaktionsgebäude auf dem Olympiagelände aufgestellt hatte.
Dort, in drangvoller und schweißtreibender Enge, tritt der junge TV-Produzent Geoffrey Mason (John Magaro) frühmorgens seinen Dienst an. Alle sind müde. Der Himmel ist noch dunkel. Eine schnelle Zigarette vor dem StudioContainer vor der nächsten Übertragung in die USA. Da sind vom Olympischen Dorf her seltsame Geräusche zu hören. Waren das Schüsse? Telefonate mit den Kollegen anderer Sender ergeben nichts. Doch Chefredakteur Roone Arledge (Peter Sarsgaard) und Marvin Bader (Ben Chaplin) sind alarmiert. Mit der deutschen Übersetzerin Marianne Gebhardt (Leonie Benesch) gelingt es dem Team, den Polizeifunk abzuhören. Und plötzlich sind sie mittendrin in der Live-Berichterstattung des Terrors, schmuggeln Filmrollen in das von der Polizei abgeriegelte Olympische Dorf und wachsen im Zuge der 21 Stunden dauernden weltweiten Übertragung in jeder Hinsicht über sich hinaus.
Vom damals wie heute heiß lodernden Nahost-Konflikt über die fehlende Bewaffnung der Sicherheitsleute bei der Olympiade in München und die dilettantischen Befreiungsversuche der Geiseln bis zur Tragödie auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck: Der 5. September 1972 bietet eine Menge Ansatzpunkte für einen Film. Kevin Macdonald hat 1999 den oscarprämierten Dokumentarfilm „One Day in September“ gedreht. Steven Spielberg konzentrierte sich mit „München“ 2006 auf das Attentat als Beginn des internationalen Terrorismus. An „September 5“ fällt zuerst einmal auf, wie viel Regisseur Tim Fehlbaum und Drehbuchautor Moritz Binder von den bekannten Ereignissen weggelassen haben. Eine großartige Idee, denn herausgekommen ist ein nahezu perfekter Actionthriller. Sogar für alle, die das grauenhafte Ende bereits kennen.
Die überaus bewegliche Kamera von Markus Förderer fliegt durch den winzigen, meistens halbdunklen Raum, der mit steinzeitartig anmutender Technik gefüllt ist. Dank der fantastischen Schauspieler und des eleganten Schnitts entsteht in dieser schon beim Hinsehen Klaustrophobie erzeugenden Kiste voller aufgeregter Menschen nie Hektik. Nur pure, reine Spannung. Garniert mit zahlreichen wunderschön gesetzten Dialog-Schlenkern, in denen ein oder zwei Sätze das gesamte Lebensgefühl jener Jahre umreißen.
ULRIKE FRICK
„September 5“
mit John Magaro, Peter Sarsgaard, Leonie Benesch, Ben Chaplin
Regie: Tim Fehlbaum
Laufzeit: 95 Minuten
Hervorragend
Dieser Film könnte Ihnen gefallen, wenn Sie Journalistenfilme wie „Die Unbestechlichen“ mögen.