Hoch engagiert: Birgit Gottschalk (li.) und Jennifer Ruhland vom Münchner Künstlerhaus. © bod
Nur so eine These: Möglicherweise ist diese alte Dame auch nach 125 Jahren noch so putzmunter, weil hier besonders viele Frauen wirken. Das Münchner Künstlerhaus: Am 29. März von einer Herrenrunde gegründet, heute fest in weiblicher Hand. Und das wird wörtlich genommen. Hands-on, neudeutsch für Anpacken, leben Birgit Gottschalk und Jennifer Ruhland dem gesamten Team vor – und jede einzelne Mitarbeiterin, jeder einzelne Mitarbeiter (die gibt’s auch) zieht mit. Wer Gottschalk, Stiftungsvorstand und Leiterin des Hauses, und Ruhland, stellvertretende Stiftungsvorsitzende, in den Räumen am Lenbachplatz trifft, hat so eine Ahnung, wie die zwei das machen mit der immerwährenden Motivation des Personals. Wie hat Erich Kästner es formuliert? „Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“ Gottschalk und Ruhland sind in diesem Sinne ganz und gar Mensch geblieben. Mit kindlicher Freude nehmen sie die Dinge in Angriff. Und wenn sie dann davon erzählen, anlässlich des 125. Geburtstags an diesem Wochenende, wird man fast weggepustet von so viel Energie und Enthusiasmus.
Besser: angepustet. Denn sofort bekommt man Lust, mitzufliegen in diesem Wunderort der Fantasie. Rund 360 Tage im Jahr ist im Künstlerhaus was los. „Wir haben Jazz, Klassik, Ausstellungen, Kinder- und Jugendprogramme, Kabarett, Lesungen, Musical. Und dadurch, dass wir die Räume im Haus außerdem für externe Veranstaltungen vermieten, kommen aus sämtlichen Professionen Menschen für Kongresse, Seminare und so weiter zu uns“, schwärmt Ruhland.
Ganz so, wie sich das besagte Gründerväter einst gedacht hatten. Seit 1850 bestand die Idee, in München einen Ort der Begegnung für Kulturfreunde zu schaffen. Viele Anläufe benötigten die Visionäre Franz von Lenbach, Gabriel von Seidl, Fritz August von Kaulbach, Ferdinand von Miller und Lorenz Gedon, bis sie das Grundstück in der Nähe des Stachus erhielten. Prinzregent Luitpold legte 1893 den Grundstein, von Seidl begann mit dem Bau.
„Man merkt, dass Künstler dieses Haus errichtet haben“, findet Gottschalk. „Es hat solch eine Harmonie. Wenn man hereinkommt, fühlt man sich sofort wohl.“ Stimmt. Das liegt auch an den vielen wertvollen Stücken, mit denen die Zimmer eingerichtet sind. Hat was von einem Besuch in der Villa Stuck oder dem Lenbachhaus. „Lenbachs Frau soll zu ihrem Mann gesagt haben: Also wenn du unser Schlafzimmer jetzt auch noch hergeben willst, reicht’s!“, erzählt Gottschalk lachend. Das sagt viel aus über die Obsession, mit der die Künstler damals an der Verwirklichung ihrer Vision gearbeitet haben.
Von der lassen sie sich heute noch immer inspirieren. „Dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben. Und: Das Haus aufmachen für alle, das ist unser Ziel“, formulieren es die beiden Leiterinnen. Jeder, der unter 30 ist, kann bei allen Veranstaltungen im Künstlerhaus ein Ticket für zehn Euro lösen, und auch ansonsten setzen sie auf moderate Preise. Hier kommt ihnen zugute, dass sie keine Miete zahlen müssen, vermieten können. Und doch ist es kein Selbstläufer. „Man muss immer gut wirtschaften, immer weiter kämpfen. Allein, dieses Haus zu erhalten – es gibt kaum einen Tag, an dem uns nicht irgendeine unschöne Überraschung erwartet.“ Dass sie bei diesem Satz beide wissend lachen, zeigt die große Leidenschaft für Kultur, die sie auch Krisen überstehen lässt.
Im Zweifel hilft ihnen ihre Kreativität. Da werden die Garderobieren schon mal gebeten, 500 Frösche als Deko für den Gauklerball zu basteln, dem legendären Faschingsfest des Hauses; oder marschiert Gottschalk ein halbes Jahr vor dem Ball mit dem Motto „Im wilden Westen“ in die Bar Tabacco und bittet, dass sie in den nächsten sechs Monaten doch bitte 100 leere Whiskeyflaschen für sie als Deko zurücklegen mögen. Beim Fest „Die Gaukler in Auerbachs Keller“ muss viel geküsst worden sein: Denn spontan lud Gottschalk 50 Mistelzweige, die am Straßenrand lagen, in ihren Kofferraum – wieder mal: kostenlose Dekoration. „Wir müssen doch die Leute wegholen vom grauen Alltag – hin zu dem, was glücklich macht“, sagt Ruhland. Sie überlegen jetzt schon, wie sie den Schnee herbeizaubern können für die Dult im Dezember. Geschneit hat es auch am 29. März 1900, als alles begann. Und das Glitzern, es ist bis heute geblieben. Herzlichen Glückwunsch, alte Dame!
KATJA KRAFT