Verblüffend viel Selbstdistanz zeigte Val Kilmer in seinem späteren Leben. © Mark Humphrey / dpa
Als Neuling ließ Val Kilmer die bekanntesten Regisseure abblitzen. Zu seiner Rolle als Iceman in „Top Gun“ musste man ihn regelrecht zwingen. © mago
Kein anderer Hollywoodstar hat es geschafft, sich derart viele Feinde in der Branche zu machen wie Val Kilmer. Exzentriker ist man in der Traumfabrik gewohnt, aber Kilmer setzt neue Maßstäbe und bringt gestandene Branchengrößen dazu, öffentlich jede weitere Zusammenarbeit abzulehnen. Schon als Schauspielschüler lehnt er 1983 leicht großkotzig ein Rollenangebot von Regie-Legende Francis Ford Coppola ab und wird in den nächsten Jahren viele Werke, die heute als Klassiker gelten, aus nicht ganz geklärten Gründen zurückweisen. Zu seinem großen Durchbruch in „Top Gun“ wird er 1986 regelrecht gezwungen – er muss einen Vertrag erfüllen.
Obwohl er schon als Neuling einen verheerenden Ruf genießt, reißen sich die Filmstudios um den Beau, der als kommender Superstar gefeiert wird. Kilmer entzieht sich mitunter und spielt lieber auf Provinzbühnen Shakespeare als in „Dirty Dancing“ oder „Blue Velvet“ mitzuspielen. 1991 beweist er aber in Oliver Stones Musikbiografie „Doors“ als Jim Morrison, dass er tatsächlich das Zeug dazu hat, ein ganz Großer zu werden. Er sieht dem Doors-Sänger Jim Morrison nicht nur verblüffend ähnlich, sondern singt auch dessen Lieder selbst so überzeugend ein, dass sogar die ehemaligen Bandkollegen von Morrison nicht sicher sagen können, wann das Original und wann Kilmer singt. Der spielt intensiv, aber kontrolliert, und wird zu Morrison.
Es folgen goldene Jahre. Kilmer brilliert in dem Indianerdrama „Thunderheart“, begeistert in „True Romance“ mit einem Auftritt als Elvis und liefert im Spätwestern „Tombstone“ als Doc Holliday eine sehenswerte Vorstellung ab. Dann landet er etwas überraschend im Batman-Kostüm und wird erstmals von der Kritik einhellig verrissen. Er ist einsichtig („Ich habe da nicht reingepasst“) und lehnt eine weitere Fortsetzung als Fledermaus ab. Erleichtert wird die Entscheidung von der abgrundtiefen gegenseitigen Abneigung zwischen Kilmer und Regisseur Joel Schumacher. Seine Karriere danach könnte man freundlich als in sich nicht schlüssig bezeichnen. Neben schönen Auftritten etwa in „Heat“ gibt es totale Desaster wie „Die Insel des Dr. Moreau“. Hier gelingt es Kilmer, sogar die Diva Marlon Brando in puncto extravagantes Gebaren in den Schatten zu stellen. Kilmer sagt später, das seien alles Missverständnisse gewesen, er habe sich auf seine Rollen fokussiert, die Probleme hätte sein Filmcharakter gehabt, nicht er selber. Dazu passt, was Michael Biehn, sein Co-Star aus „Tombstone“ berichtet: Er habe kein Problem mit Kilmer gehabt, weil er den nie getroffen habe. „Ich bin während der Dreharbeiten ausschließlich Doc Holliday begegnet.“
Die nächsten Jahrzehnte driftet Kilmer oft lustlos zwischen billigen Schrottfilmen und ambitionierten Juwelen, in denen er brillieren kann, etwa im phänomenalen „Kiss Kiss, Bang Bang“ an der Seite von Robert Downey Jr., auch ein Borderline-Star mit Hang zur Selbstzerstörung. Kilmer zieht sich immer öfter auf seine riesige Ranch (über 2000 Hektar) in seiner Heimat New Mexico zurück und dreht im Grunde nur noch, weil er Geld braucht und „sonst nichts Besseres zu tun“ hat, wie er sagt. Nach gesundheitlichen Schwierigkeiten wird aus dem ehemaligen Frauenschwarm, der einst die weibliche A-Liga Hollywoods verführte, ein sichtlich angeschlagener Mann, der frühzeitig altert. Nach einer Krebstherapie ist er kaum noch in der Lage zu arbeiten, schleppt sich aber tapfer ab und an noch vor eine Kamera. In der Dokumentation „Kilmer“ über sein Leben beweist er verblüffend viel Selbstdistanz und verabschiedet sich ironischerweise mit „Top Gun Maverick“ vom Kino. Dass er nicht die Laufbahn hatte, die sein Filmpartner Tom Cruise vorweisen kann, erklärt Kilmer kurz und einleuchtend: Er habe nie die Energie und Zeit aufgebracht, um sich mit den geschäftlichen Aspekten des Filmbusiness zu befassen.
Auf über 100 Filme hat es Kilmer dennoch gebracht, darunter einige sehr sehenswerte. „Ich glaube nicht an den Tod. Das ist nur ein Zustand des Bewusstseins“ hat er einmal gesagt. Nun ist Val Kilmer, einer der besten Schauspieler seiner Generation, im Alter von 65 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. „So etwas wie ein normales Leben gibt es nicht“, darf Kilmer in „Tombstone“ sagen. „Es gibt nur das Leben. Führ es einfach.“ Es könnte sein Lebensmotto gewesen sein.
ZORAN GOJIC