„Der Berg ist kein Fitnessgerät“, sagt Lukas Wurm von der Bergwacht Ramsau.
Wenn der Piepser geht, ziehen alle an einem Strang. Für die Doku haben sich die Bergretter aus Grainau und Ramsau bei ihrer beeindruckenden Arbeit begleiten lassen. © Timeline Prod. (2)
Wer im Gebirge einen Sturz aus 40 Metern überleben will, braucht viele Schutzengel – und die Bergwacht. Sie ist es, die anrückt, wenn der Mensch sich mal wieder überschätzt hat, wenn die Kräfte nachlassen, das Wetter Kapriolen schlägt und kein Hubschrauber mehr fliegen kann. Wie anspruchsvoll, gefährlich und beeindruckend der Einsatz der ehrenamtlichen Helfer ist, zeigt eine neue Doku-Reihe, die ARD und BR Fernsehen als „das Streaming-Highlight des Jahres“ ankündigen. Und tatsächlich sorgt die achtteilige Reihe „In höchster Not – Bergretter im Einsatz“, die ab heute in der ARD-Mediathek zum Abruf bereitsteht und ab Montag um 20.15 Uhr im BR zu sehen ist, für echte Gänsehautmomente.
Die bayerischen Bergwachten Ramsau und Grainau haben sich auf diese sehenswerte Doku-Reihe eingelassen und ihren Bereitschaftsdienst für 100 Tage mit einem bergerfahrenen Filmteam geteilt. Ihre Vorgabe: Alles bleibt authentisch, nichts wird gescripted. Die Entscheidung, was gefilmt wird und was nicht: ein Balanceakt. „Keiner will die richtig harten Einsätze sehen“, sagt Max Reichel von der Produktionsfirma Timeline. „Es ging uns nicht darum, tödliche Bergunglücke zu zeigen, sondern die wirklich bewundernswerte und anspruchsvolle Arbeit der Retterinnen und Retter.“
Sie alle haben das Paradies vor der Tür, ein Wechselspiel aus Schönheit und Gefahr, das auf viele Menschen eine große Faszination ausübt. Seit Corona hat die Leidenschaft für den Bergsport sogar noch zugenommen. Wobei „Bergsport“ so ein Wort ist, das Ausbildungsleiter Lukas Wurm von der Bergwacht Ramsau nicht besonders passend findet: „Der Berg ist kein Fitnessgerät. Da kann man nicht sagen Time-out oder einfach so vom Spielfeld gehen, wenn man nicht mehr mag. Irgendwie muss man immer wieder runter.“ Sein Team ist mit der Bergwacht Berchtesgaden im Gebiet von Watzmann, Hochkalter, Blaueisgletscher und Reiteralpe unterwegs.
Und gleich in der ersten Folge von „In höchster Not“ kommt es für die Kollegen zum dramatischen Einsatz: Ein 44-jähriger Bergsteiger ist 40 Meter tief am Schönfeldgraben am Watzmann gestürzt – ohne Helm. „Unwahrscheinlich, dass er nicht schwer verletzt ist“, so die erste Einschätzung. Mit jeder Minute, die sich der Helikopter mit den Rettern nähert, steigt die Anspannung im Team. „Als wir gemerkt haben, dass der Patient noch ansprechbar ist, waren wir ziemlich erleichtert“, sagt einer der Ersthelfer. Es ist ein Glückstag für den Verunglückten: starke Prellungen, ein paar Schürf- und Schnittwunden, die im Krankenhaus verarztet werden. „Das ist wie ein Sechser im Lotto“, so ein Bergwacht-Kollege. „Manche stürzen viel unspektakulärer und sind tot.“
Doch reißerisch ist diese Serie nicht, von der die ARD bereits vor der Ausstrahlung vor lauter Begeisterung eine zweite Staffel bestellt hat. Wenn sich der Piepser meldet, geht es für alle nur noch um das gemeinsame Ziel: die Rettung. Ausgestattet mit Bodycams und gefolgt von Drohnen nehmen die Bergretterinnen und Bergretter die Zuschauenden hautnah mit – auf ungesicherten Abstiegen im Nebel, über brüchige, ausgesetzte Wege und an den Seilwinden von Helikoptern. Sie gehen an die Grenzen ihrer eigenen Kräfte, um anderen zu helfen – auch in der Zugspitzregion, in der nicht wenige die Natur und das Wetter unterschätzen. „Wir hoffen, dass diese Serie dabei hilft, mehr Bewusstsein für alpine Gefahren zu schaffen“, sagt Willi Kraus, Bereitschaftsleiter der Bergwacht Grainau. Denn an einem Punkt sind sich alle Ehrenamtlichen einig: „Wir kommen lieber heim, als dass wir ausrücken, und brechen ab, wenn‘s auch für uns lebensgefährlich wird.“
ASTRID KISTNER