TV-TIPP

Der Mann hinter der Maske

von Redaktion

3sat zeigt eine großartige Dokumentation über den Modeschöpfer Karl Lagerfeld

Filmemacher Gero von Boehm (li.) mit Modeschöpfer Karl Lagerfeld in Paris – sein filmisches Porträt enthüllt einen erstaunlich persönlichen Blick auf den Designer. © Till Vielrose

Schwarze Sonnenbrille, Fächer, fingerlose Lederhandschuhe und Schmuck – viel Schmuck. So setzte sich Modeschöpfer Karl Lagerfeld gern in Szene. „All das war Kostüm, eine Art Uniform“, meint das ehemalige Topmodel Nadja Auermann. „Es gab für ihn mehrere Gründe, eine Rolle aufzubauen, die nicht er selbst war“, meint Biograf Alfons Kaiser. Welche, das versucht Filmemacher Gero von Boehm in seiner glänzenden Dokumentation „Karl – Der Mann hinter der Maske“ zu ergründen. Entstanden ist ein feines, funkelndes Porträt der Designer-Ikone, das an diesem Samstag um 20.15 Uhr erstmals auf 3sat zu sehen ist.

Juni 2019. Von Boehm nimmt sein Publikum mit ins Grand Palais in Paris. Der pompöse Schauplatz vieler Modeschauen ist zur festlichen Gedenkhalle umgewandelt. Geschmückt mit großformatigen Fotos von Lagerfeld, seiner Kunst, seinen Kleidern, besucht von Persönlichkeiten wie Anna Wintour, Claudia Schiffer, dem französischen Präsidentenpaar. Die Trauer um den Tod des großen Karl, der im Februar desselben Jahres starb, ist allgegenwärtig spürbar.

Der liebevoll inszenierte Zirkus hätte Lagerfeld gefallen, der zeitlebens auf seinen Namen als Marke einzahlte. Unermüdlich polierte er die Fassade, erfand sich immer wieder selbst, war Garant launiger Anekdoten, ohne die Leute je in sein Innerstes blicken zu lassen. „Ich weiß selbst nicht, wann ich geboren wurde. Irgendwann zwischen 1933 und 1938. Wenn Sie’s genau wissen wollen, müssen Sie warten, bis ich tot bin“, sagt er flapsig im Film.

Sein Geburtsjahr 1933, das Jahr, in dem Hitler die Macht ergriff, hing wie ein Schatten über ihm. Beide Eltern waren in der NSDAP. Ob Karl das wusste? Er verlor nie ein Wort darüber. Allein die Tatsache hätte eine Karriere in den Fünfzigerjahren in Paris unmöglich gemacht. Lieber erzählte Lagerfeld von seiner Kindheit in der großbürgerlichen Idylle auf Gut Bissenmoor im norddeutschen Bad Bramstedt. Der Vater Dosenmilch-Fabrikant, die Mutter selbstbewusst und streitbar. Die Kühe habe er geliebt, sagt er. Und seine kurze Lederhose. „Weil die im Norden sonst keiner hatte.“

„Er wusste früh, dass er künstlerisches Talent hat“, so Biograf Kaiser in der Doku. In der Grundschule, in der er von den Jungs wegen seiner feinen Art und der langen Haare gehänselt wurde, zeichnete er die Mädchen in Ballkleidern. Als Familie Lagerfeld 1949 in einem Hotel in Hamburg nächtigt, wird dort die Mode von Christian Dior vorgeführt. Der 16-jährige Karl, der diese Schau sieht, weiß nun endlich um seine Bestimmung: Es sind die Mode und Paris. Und so folgt er dem Motto seiner Mutter: „Hamburg ist das Tor zur Welt – also nix wie durch und raus.“

Und Paris empfängt ihn mit offenen Armen: Schriftsteller, Maler, Sänger und Künstler tummeln sich im Café de Flores, vor dem Lagerfeld gern sein Mercedes Cabrio parkt. Mit Anfang 20 kommt er in einem Milieu an, das weltoffen und frei von Homophobie ist. Er gewinnt einen Modewettbewerb, arbeitet diszipliniert und mit unerschöpflicher Energie.

Gero von Boehm, der aus Archivmaterial und aktuellen Gesprächen mit Weggefährten 45 schillernde Minuten schneidert, spart auch das Thema Liebe nicht aus. Lagerfelds größte ist wohl Jacques de Bascher, der 1989 an Aids stirbt. Ein intelligenter, junger Dandy, der die Provokation liebt. Und Lagerfeld, der mit Sexualität nicht viel anfangen kann, liebt ihn „wie ein Vater“. Er begleitet ihn bis zum Tod und resümiert im Film: „Ich bewundere Leute, die sich selbst zerstören, aber ich bin dafür nicht begabt. Ich bin auch kein Retter. Jeder ist der Meister seines eigenen Schicksals.“ Hätte er Jacques auf eine andere Art geliebt, wäre er nicht mehr da.

Tod und Verfall waren Karl Lagerfeld zuwider. Niemand außer seinem langjährigen Assistenten, Leibwächter und Fahrer Sébastien Jondeau wusste vom Prostatakrebs, der 2014 bei ihm diagnostiziert wurde. Noch im Krankenhaus, wenige Stunden vor seinem Tod, arbeitete Lagerfeld an Entwürfen fürs Modelabel Fendi. „Ich kontrolliere die Situation lieber selbst“, sagt der Modeschöpfer. „Ich will auch nicht gesehen werden, wenn ich tot bin. Tuch drüber und weg, Mülleimer, raus.“

Sein letzter Wunsch: „Niemand soll je erfahren, wo er ist“, erklärt Jondeau. „Karl wollte sterben wie die Elefanten – einfach verschwinden.“ Er hatte eine genaue Vorstellung davon, was mit seiner Asche geschehen sollte. „Wissen Sie, wo er heute ist“, fragt der 50-jährige Jondeau im Film. „Nein? Ich weiß es, werde es aber nicht verraten, bis ich von dieser Welt gehe.“ Karl – dem Mann hinter der Maske – ist sein letztes Meisterstück gelungen.
ASTRID KISTNER

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