Das Herz voller Napalm: Iggy Pop stellte auch in der Tollwood-Musikarena seine ehrliche Haut zur Schau – bei einer atemberaubenden Show. © Alexander Scharf
Die Weste fliegt schon vor dem ersten Song. Das Gitarrenriff von „T.V. Eye“ fräst durch die dicke Luft der Tollwood-Musikarena, während Iggy Pop sein legendäres schwarzes Leder-Accessoire kurz über dem Kopf wirbelt – und weg damit. Oben ohne forever, Baby! Fans schließen ja längst Wetten ab, wann der „Godfather of Punk“ sich entblößt – und an diesem Dienstagabend im ausverkauften Zelt tut er es sofort, tropisch, wie es wieder mal ist.
Bestes Klima also für das Raubtier des Rock’n’Roll. Das Publikum steht von Anfang an kopf, Iggy humpelt, ach was, schreitet seine Band ab, boxt in die Luft, schüttelt die blonden Strähnen, winkt. Der Körper des heute 78-Jährigen macht von sich reden, seit er zum ersten Mal von einem Scheinwerfer erfasst wurde. Als Iggy noch ein junger Junkie-Adonis war, gebrauchte er ihn als Waffe – zog blank oder fügte sich selbst auf der Bühne blutende Wunden zu. Heute sieht man die Gebrechen: die krumme Wirbelsäule, den Hüftschaden, das rechte Bein, das vier Zentimeter länger ist als das linke. Und natürlich die Spuren des Alters. Iggy Pop stellt sich und seine ehrliche Haut mit allen Falten und konkurrenzloser Selbstverständlichkeit zur Schau. Und man kann es nicht anders sagen: Er ist ein schöner Mann.
Übrigens ist auch die Band schön: Das Septett sieht aus, als habe man es in einer Hipster-Bar in Brooklyn gecastet – die Stooges dagegen, mit denen Iggy ab Ende der Sechziger den wichtigsten Teil seines Legenden-Werks schuf, taumelten auf die Bühne, als kämen sie grad vom Klebstoffschnüffeln. Die Lieder bauten sich vor einem auf wie ein hackedichter Kneipenschläger, der einem die Fresse polieren will. Heute treffen sie einen wie ein technisch versierter Kampfsportler – die großartig eingespielte Band mit ihren zwei Bläsern verleiht dem stumpfen Punk, aber auch dem Düster-Pop der Berliner Bowie-Kollaborationen völlig neue Facetten. Einen Satz heiße Ohren gibt es in jedem Fall.
Iggy haut von Anfang an Hits raus: „Raw Power“, „I got a Right“, „Gimme Danger“, die frenetisch gefeierten „The Passenger“ und „Lust for Life“. Keine Atempause, dann die erste Ansage mit unnachahmlichem Charme: „Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Fuck! Thank you for fuckin’ coming! Fuck!“
Es grenzt an ein Wunder, dass dieser Mann, der seinem Körper so viel zugemutet hat, überhaupt noch fähig ist, das zu tun, was er tut. Schwitzend, spuckend, ohne Handbremse. Für Menschen seines Alters wurde das Wort „rüstig“ erfunden, aber er scheint eine ganz andere Spezies zu sein. Ein „Gepard mit einem Herzen voller Napalm“, wie er in „Search and destroy“ singt? Zweimal lässt er sich auf den Rücken fallen, aber es sieht nicht so aus, als müsse man den Arzt holen – Iggy genießt es. „I lay right down in my favourite Place“, singt er in „I wanna be your Dog“, dann verschwindet er eine Minute für ein Bad im Publikum. Er ist in seinem Element.
Die Intensität lässt 19 Songs lang nicht nach, Iggy fackelt die Bude ab. Am Ende feiert die Menge „Real wild Child“ und wiederholt zu „Funtime“ frenetisch den „Ho-hey!“-Sprechchor. Das Raubtier lächelt, winkt, die Augen strahlen beseelt. „Meine Damen und Herren, it’s been fuckin’ great!“ Dann wirft es das Mikro in hohem Bogen zu Boden und geht ab. Die Leute singen weiter. Sie fühlen sich glücklich – und möglicherweise auch ein bisschen alt. JOHANNES LÖHR