Das Theaterstück „Oder kann das weg“ eröffnet das Festival am 17. Oktober. © Theaterakademie Everding
Serge Okunev schaltet eine kleine Musikbox ein. Ein russisches Lied erklingt. Er schließt die Augen und singt inbrünstig mit – oder bewegt zumindest die Lippen synchron zum erhabenen Männergesang. Dann schaltet er die Musik wieder aus. Und erklärt: Es handelt sich um ein russisches Propagandalied – ohne es je geübt zu haben, kenne er jedes Wort auswendig.
In seinem Theaterstück „Oder kann das weg“ beschäftigt sich Okunev mit dem Verhältnis von Kunst und Propaganda. 2015 diente der junge Mann in der russischen Armee. Nach dem Angriff auf die Ukraine verließ er sein Heimatland – heute verarbeitet er seine Erfahrungen auf der Bühne. Seine Performance eröffnet am 17. Oktober in den Kammerspielen das „Spielart Festival“. Das internationale Event für zeitgenössisches Theater, Performance und Tanz findet alle zwei Jahre in München statt – und feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Festivalleiterin Sophie Becker betont bei der Programmvorstellung die gesellschaftliche Relevanz: „Das sind gerade harte Zeiten für die Kultur“, sagt sie mit Blick auf Budgetkürzungen wie zuletzt in Berlin. Umso wichtiger sei es, Ideologien künstlerisch zu hinterfragen.
Insgesamt zeigt das Festival 30 Produktionen an 15 Spielorten in München. Mit dabei sind große Häuser wie das Volkstheater und die Kammerspiele, aber auch alternative Bühnen wie das Zirka und dasKösk. Ein Stück Münchner Zeitgeschichte vermittelt die Uraufführung von „Yoldas – Frauen, die einander halten“. Im Zentrum steht die Arbeiterin Emine Ulsen, die 38 Jahre lang im Münchner BMW-Werk schuftete. Sie zählt zur ersten Generation der sogenannten Gastarbeiterinnen, die nach Deutschland kamen, um den wirtschaftlichen Aufschwung mitzutragen. „Das, was BMW zu dem machte, was es heute ist, das waren wir“, sagt Ulsen rückblickend. Ihr Leben spielte sich zu großen Teilen im Werk ab – geprägt von harter körperlicher Arbeit und Schweigen, weil Sprache und Ausdruck fehlten.
Die Künstlerin Nihan Devecioglu, Enkelin türkischstämmiger Arbeiterinnen, ist mit den Geschichten dieser Frauen aufgewachsen. Sie hat daraus ein poetisch-musikalisches Theaterstück geschaffen – „Yoldas“ ist Türkisch für Freundinnen und Wegbegleiterinnen –, das Erinnerungen lebendig macht: Stimmen von Frauen treffen auf das Dröhnen der Maschinen, dokumentarisches Filmmaterial mischt sich mit Musik und Bewegung. So entsteht eine Collage aus Geschichte und Gegenwart, Klang und Körper, Privatem und Politischem (20. bis 22. Oktober im Einstein Kultur). JANINA VENTKER
Das „Spielart Festival“
läuft vom 17. Oktober bis zum 1. November; Karten ab 15. September über München Ticket,
Telefon 089/ 54 81 81 81.
www.spielart.org.